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In dieser Folge spricht Waheed mit seinem guten Freund Fares über gemeinsame Merkmale und Erfahrungen von Männern und Frauen mit gleichgeschlechtlicher Anziehung (SSA). Sie sprechen über Scham und antizipatorische Scham und erklären einige der psychologischen Abwehrmechanismen, die wir an den Tag legen, vor allem das falsche Selbst und narzisstische Gedanken und Verhaltensweisen. Auch nehmen sie die Vorstellung auseinander, dass Homosexualität ein Wiederholungszwang ist und bringen sie mit Süchten in Verbindung. Zum Schluss stellen sie die Begriffe Trauerarbeit und die Bedeutung von Verwundbarkeit und Selbstbehauptung bei der Lösung des Wiederholungszwangs vor. Was sind Beispiele für das falsche Selbst? Wie hängen Scham und Narzissmus zusammen? Was ist der Unterschied zwischen Verzerrungen und Illusionen und wie kontrollieren sie unser Denken? Was ist der Auslöser für sexuelle Handlungen und was ist der Weg zur Heilung? Diesen und anderen Fragen gehen Waheed und Fares in dieser Folge nach.

Einleitung der Folge

Waheed: Hier ist Waheed Jensen und du hörst gerade „A Way Beyond the Rainbow“ [Ein Weg jenseits des Regenbogens]. Assalamu alaikum wa rahmatullahi ta’ala wa barakatuh und willkommen zur 9. Folge von „A Way Beyond the Rainbow“, der Podcast-Reihe, die Muslimen gewidmet ist, die mit gleichgeschlechtlicher Anziehung [engl. same-sex attraction, kurz: SSA] zu kämpfen haben und ein Leben führen wollen, das im Einklang mit Allah (swt) und dem Islam steht. Ich bin euer Moderator Waheed Jensen. Vielen Dank, dass ihr bei der heutigen Folge mit dabei seid. In unserer heutigen Folge habe ich meinen lieben Freund Fares dabei. Assalamu alaikum, Fares.

Fares: Wa alaikum assalam, Waheed.

Waheed: Wie geht’s dir?

Fares: Gut gut, danke. Wie geht es dir?

Waheed: Alhamdulilah [Alles Lob gebührt Gott], es läuft gut. Ich versuche, das Beste aus der Corona-Situation zu machen. Wie sieht’s bei dir aus?

Fares: Ja, es ist eine stressige Situation, aber wir werden damit fertig, inshaAllah [so Gott will]. Ich bin voller Hoffnung.

Waheed: Wir werden das schon stemmen, inshaAllah. Wir haben für heute viele Themen vorbereitet. Die heutige Folge ist ziemlich heftig. Wir müssen eine Menge Themen behandeln. Wir werden inshaAllah über Scham und antizipatorische [vorweggenommene/vorauseilende/zu erwartende] Scham sprechen, über die verschiedenen psychologischen Abwehrmechanismen, die bei Menschen mit gleichgeschlechtlichen Anziehungskräften üblich sind. Wir werden über das Konzept des wahren Selbst und des falschen Selbst sprechen. Wir werden das Thema narzisstische Züge sowie das Konzept der Homosexualität als Wiederholungszwang anschneiden. Wir werden an vielen Stellen auf die 2. und 3. Folge zurückgreifen, das werdet ihr merken, denn viele der Themen, die wir damals angeschnitten haben, als Aadam mit dabei war, waren sehr wichtig. Ihr werdet sehen, inwiefern all das mit dieser Folge zusammenhängt. Als ich diese Folge plante, dachte ich, dass ich am besten Fares zu Rate ziehen sollte, denn ich kenne ihn, er ist ein guter Freund von mir, und er kennt sich mit diesen Themen sehr gut aus. MashaAllah, er ist wie ein Lexikon. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mit dabei bist. Du hast diese Folge wirklich bereichert, während wir sie am planen waren. Und ich kann es kaum erwarten, sie heute mit den Zuhörern zu teilen, inshaAllah. Ich möchte diese Folge mit einem Zitat von einem der Klienten beginnen, den Dr. Nicolosi zitiert. Er sagte:

Ich danke dir, Homosexualität! Durch das Elend, das du mir bereitet hast, hast du mich gezwungen, mich selbst zu betrachten und mich all den Dingen zu stellen, die ich verdrängt und vermieden habe. Ich bin viel lebendiger, weil ich mich meiner Homosexualität gestellt habe.

Über Scham und antizipatorische Scham

Waheed: Erinnert euch an die 3. Folge, als Aadam und ich über Dr. Brené Brown und ihre Studien und Diskussionen über Verwundbarkeit und Scham sprachen. Erinnert euch daran, wie sie Scham definiert, als „Angst vor Trennung [Abkoppelung]“. Sie fragt:

Gibt es etwas an mir, das, wenn andere es wissen oder sehen, ich einer Verbundenheit1 nicht würdig bin?

Mit anderen Worten: Alles, was das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen, das Gefühl, geliebt zu werden, oder die Liebe zu anderen Menschen bedroht, löst bei uns Scham aus. Wenn wir das also verstehen wollen, ist der Moment der Scham, den wir erleben, ein Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Impulsen: Auf der einen Seite die Selbstbehauptung, also echt zu sein, authentisch zu sein, dem treu zu bleiben, was man ist, und auf der anderen Seite die Scham, weil man bei dieser Selbstbehauptung [Durchsetzung] versagt hat. Das Gefühl ist also eher, „ich kann mich nicht erklären. Keiner wird mich verstehen. Ich kann niemals gewinnen.“ Die Person könnte sich wie gelähmt fühlen, unfähig, sich gegen das überwältigende Gefühl der Ungerechtigkeit zu wehren. Das Gefühl, sich durchzusetzen, schaltet sich ab. Es ist also eher ein spürbares Gefühl, das mich daran hindert, mit anderen in Kontakt zu treten. Ich bin völlig still… betäubt. Mein Verstand wird leer. Ich nehme nur noch den Missbrauch auf, was auch immer in dieser Situation passiert. Scham ist kein Gefühl, sie ist eher eine Gegengefühl. Sie hemmt unsere Wirkung, unsere Gefühle. Und Nicolosi sagt:

Für Männer mit SSA ist sie der Keil, der die Geschlechtsidentität von der Gesamtheit des Menschen trennt. Das Ergebnis ist ein unvollständig männlich identifiziertes und letztlich falsches Selbst.

Was sagst du dazu, Fares?

Fares: Ja, Waheed. Das stimmt. Im Grunde geht es bei Scham darum, nicht gesehen zu werden, nicht mehr zu existieren, unsichtbar zu werden. Jemand hat vielleicht das Gefühl, „ich würde am liebsten in diesem Moment verschwinden, mich unter einem Stein verstecken”. Jemand anderes würde sagen, „als Kind hatte ich das Gefühl, dass ich nicht zu meiner Familie gehöre. Ich erinnere mich an das Schmunzeln und die hasserfüllten Blicke. Ich versuchte, es zu verstehen. Ich dachte: Was habe ich getan? [Ist es etwa] Mein Verhalten, mein Aussehen?“ Die Schamhaltung ist eine verkörperte Erfahrung des [einen] Scham-Moments. Die Schultern sinken ein, der Körper sackt in sich und die Stimme klingt schüchtern. Viele Männer sagen, dass sie die Botschaft bekamen, „du gehörst nicht zu uns, weil du fehlerhaft, defekt, schwach, beschädigt bist…“ und ähnliches, und dass sie die Botschaft verinnerlicht haben, „du bist nicht [dafür] geeignet, männlich zu sein.“ Diese Wahrnehmung führt zu einer langfristigen emotionalen Verwüstung, da die beschämte Person die Verantwortung für die emotionale Vernachlässigung durch die Eltern auf sich nimmt und sich der Schande/Beschämung würdig fühlt. Sie wird wütend auf sich selbst und traurig wegen ihrer Eltern. Waheed hat das bereits in der 7. Folge besprochen.

Waheed: Richtig. Die Person wird also auf sich selbst wütend statt auf die Eltern und ist traurig um die Eltern statt um sich selbst, richtig?

Fares: Ja, genau. Es gibt das Konzept der „antizipatorischen Scham“. Das bedeutet, dass die Person immer auf den nächsten Scham-Moment vorbereitet ist. Die Schamhaltung ist eine Haltung gegenüber der Welt, in der die Person immer auf den nächsten Zusammenstoß [mit der Scham] gefasst ist. Sie ist ständig auf der Hut, dass sie nicht plötzlich und unerwartet zum Objekt der Verachtung wird, während sie gerade dabei ist, sich unschuldig und spontan selbst auszudrücken. Die Person nimmt also die Schamhaltung ein, in der Erwartung, von einer weiteren Demütigung erschlagen zu werden. Ein Mann beschrieb es so:

Ich habe das Gefühl, dass ich Menschen nicht als Menschen wahrnehme, sondern als negative Richter über mich, die gemeine Gedanken über mich hegen. Ich denke: Ja, sie haben recht. Ich bin ein Versager, ein Verlierer, [ich bin] schwach, falsch, dumm, fehlerhaft, seltsam, ‚feige‘, ‚schräg‘, kein Mann. Ich lebe mit der Angst, dass jemand herausfindet, dass ich ein Schwindler bin. Ich rechne ständig mit Ablehnung, aber wenn der Moment kommt, scheine ich nie darauf vorbereitet zu sein.

Die antizipatorische Haltung gegenüber der Scham ist buchstäblich eine Haltung, da sie am Körper getragen wird und beobachtbar ist. Viele Männer zeigen eine vorsichtige, abgeschwächte Körperhaltung, sogar in der Art, wie sie gehen, als würden sie auf Zehenspitzen gehen, während andere eine übertriebene, extravagante Haltung einnehmen, die eine Reaktion auf dasselbe Gefühl der Scham ist.

Waheed: Okay, du sagst also, dass es eine Art Schamhaltung gibt, die wir im Grunde immer dann erleben, wenn wir denselben Moment erleben, und generell in unserem Leben, also es kann etwas sein, das mit dem Körper passiert; wir geben nach, wir gehen auf Zehenspitzen oder wir haben vielleicht einfach die Vorstellung, dass wir gleich beschämt werden. Also gibt der Körper irgendwie nach bzw. manche Menschen nehmen eine völlig entgegengesetzte Haltung ein, nämlich diese übertriebene, extravagante Reaktion. Aber in unserem Inneren gibt es eine Art Scham, die wir tief in uns spüren, richtig? Als der „Beschämte“, zum Beispiel in der Kindheit, hatte der Junge auf seine Weise einen besonderen Platz inne [d. h. einfach, er war „eigen“]. Anstatt dass ich also die Alternative akzeptiere, nämlich das Gefühl der – wie sie es nennen – „Auslöschung [Ausradierung]“, sozusagen völlig verlassen zu werden und zu sterben, werde ich, nun ja, „in diesem Fall meine Rolle als der ,brave kleine Junge‘ akzeptieren“. Der Junge beginnt also, seine Trauer, seine Wut und seinen Schmerz zu verdrängen. Und so beginnt er, die Verantwortung dafür zu übernehmen, nicht geliebt zu werden. In der Psychologie nennt man das „den psychischen Tod durch ein Verlassenheits- und Auslöschungstrauma vermeiden“. Die Scham selbst bewahrt also fortan die Beziehung des Jungen zu den Eltern, indem sie die Wut, die er ihnen gegenüber empfindet, und seine Traurigkeit über sich selbst ablenkt. Darüber hinaus hat die Scham eine wichtige Funktion: Sie wahrt die Beziehung zu den Eltern und hält die falsche Hoffnung am Leben, dass „wenn ich mich weiter anstrenge, meine Eltern mich eines Tages sehen [verstehen/anhören/erkennen] werden. Sie werden sich auf mich einstellen und mich so lieben, wie ich wirklich bin.“ Es gibt also eine Art Hoffnung, die weiter aufrechterhalten wird: „Wenn ich die Erwartungen meiner Familie an mich erfülle, indem ich in diesem Zustand ,des Beschämten‘ bleibe“ – so sieht er oder sie es, das Mädchen oder der Junge – „werden sie mir eines Tages das geben, was ich wirklich brauche“. Ein interessanter Punkt, Fares, den Nicolosi erwähnt hat, ist, dass manche Menschen Schwierigkeiten haben zu verstehen, wie eine Person Scham empfinden kann, wenn andere Menschen ihr nichts getan haben. Alles, was sie getan haben, ist, nicht zu reagieren, ihnen eine Nichtreaktion zu geben. Wie kann das beschämend sein? Nicolosi gibt ein Beispiel, das eher eine Frage ist: „Hast du schon mal einen Witz erzählt und niemand hat gelacht?“ Ich schätze, die meisten von uns haben das schon erlebt, und wir schämen uns irgendwie, „oh mein Gott, das ist so peinlich!“ Aber auf gewisse Weise ist es eben beschämend. In diesem Fall besteht die Nichtreaktion der Eltern darin, dass sie es nicht schaffen, den Jungen oder das Mädchen, das von Natur aus sensibel ist, vor dem Mobbing des älteren Bruders oder vielleicht vor dem Mobbing der Mitschüler zu schützen. Und dieses Versagen der Eltern wird von dem Kind als eine Form von emotionaler Vernachlässigung empfunden. Im Erwachsenenalter ist es vielen Männern peinlich, dass sie von anderen Männern Aufmerksamkeit, Zuneigung, Anerkennung und Liebe bekommen wollen. Und so geben sie manchmal dem Therapeuten oder einer Vertrauensperson gegenüber zu, dass sie sich schwach fühlen oder denken, dass sie fehlerhaft, dumm, albern oder einfach schlecht sind, weil sie als Erwachsene diese Art von männlicher Aufmerksamkeit, Zuneigung und Anerkennung wollen. Ein Mann sagte:

Ich erkenne dieses Bedürfnis, dass ich von einem Mann bestätigt werden muss. Aber wenn ich diesem Bedürfnis nachgehen will, wirkt es schwach.

Wie du also schon sagtest, Fares, kommt diese antizipatorische Scham von innen, als ob wir den nächsten beschämenden Moment vorausahnen. Aber für manche, wie für den Mann, kommt sie „von außen“. Er hat das Gefühl, dass die Scham von „da draußen“ kommen wird. Der Mann beginnt also, das Bild der strafenden Eltern, die er als Kind hatte, auf andere zu projizieren, und denkt, „dass diese Leute mich auf die eine oder andere Weise beschämen werden“.

Fares: Ich würde gerne noch einen Punkt hinzufügen. Dr. Julie Hamilton sagte, dass ein Kind, das sehr sensibel ist und eine Neigung zu SSA hat, den Vater wie einen Geist wahrnehmen kann, wenn er wütend ist, oder sogar die Mutter. Eine kleine Menge Wut oder eine bisschen höhere Stimme kann für das kleine Kind sehr, sehr schädlich sein, so dass es sehr empfindlich auf bestimmte Geräusche und Gesten reagiert. Und es wird diese Dinge in seiner eigenen Welt verstärken. Und das ist im Grunde der Zustand der Scham, wie sie sich im Kind zeigt.

Waheed: Ja, absolut. Ich stimme dir vollkommen zu. Und ich glaube, das trifft auf die meisten von uns zu. Mit anderen Worten: Was wir uns selbst antun, fühlt sich an wie das, was auch unsere Eltern und Spielkameraden uns mal antaten. Und das setzt sich in unserem Erwachsenenleben fort. Mit anderen Worten: Wir haben immer Angst, dass wir auf die eine oder andere Weise bestraft werden, und unter alledem sehen wir einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen, das bereit ist, irgendwie bestraft zu werden, denn so haben wir all diese Botschaften verinnerlicht, als wir heranwuchsen.

Fares: Und leider führt diese Scham zu einem Lebensstil des Versteckens, dieser Wachsamkeit und zu einer Art von Vermeidung und Rückzug. In manchen Fällen kann die antizipatorische Scham so stark werden, dass sie an Paranoia grenzt, d. h. man hat das Gefühl, „die Leute sehen mich. Die Leute beobachten mich.“ Manche Männer sind der Überzeugung, dass eine andere Person die Macht hat, alle gegen sie aufzubringen. Also diese Paranoia und Wahnvorstellungen über die Absichten anderer – sie scheinen zu sehen, dass andere sie bestrafen oder demütigen wollen oder sie ablehnen. Die Annahme ist also, dass diese Person hilflos gegenüber Verleumdung ist. Dass es eine „Allmacht“ gibt, die er auf die andere Person projiziert, und das zerstört jeden Glauben, dass er direkt auf andere einwirken kann. Der „beleidigte Andere“ hat die ganze Macht. Frühere Anlässe für diese beängstigende Erwartung gehen oft auf die frühe Jugend zurück, als ein Tyrann die anderen Jungen gegen ihn aufbrachte, und vielleicht sogar noch früher auf die „allmächtige Mutter“ oder den „allmächtigen Vater“, die die Meinungen der anderen Familienmitglieder kontrollierten und sie entweder gegen ihn aufbrachten oder sie daran hinderten, ihn zu verteidigen. Und, weißt du, Waheed, er fühlt sich so, als wäre es er gegen ein Team von Menschen, fühlt sich, als wäre er allein und seine Familie spielt eine Teamrolle gegen ihn, und deshalb schämt er sich so sehr dafür.

Waheed: Es hängt also alles damit zusammen, wie wir zu unseren Eltern und Altersgenossen standen und wie das unsere Gedanken und unser Verhalten beeinflusst hat.

Abwehrmechanismen: Projektion und Dissoziation

Fares: Wir werden jetzt über die Abwehrmechanismen sprechen, die viele von uns Menschen mit SSA erleben. Erstens gibt es die Dissoziation [Abspaltung/Trennung/Distanzierung]. Menschen, die diese Abwehr nutzen, haben wahrscheinlich ein frühes Bindungstrauma mit ihrer Mutter erlebt. Im Erwachsenenalter reagieren sie auf bestimmte Auslöser, die mit dem ursprünglichen Trauma in Verbindung stehen, indem sie sich von der Außenwelt abkapseln und in einen ernüchterten Zustand umschalten. Die bindungstraumatisierte Person reagiert sehr empfindlich auf implizite Anzeichen von Missbilligung und Ablehnung, wie z. B. einen einfachen Tonfall, einen Gesichtsausdruck oder subtile Gesten von anderen. Dies führt dazu, dass die Person sich distanziert, nicht mehr im Moment ist und flieht. Bei manchen Menschen wird der Blick plötzlich flach und unscharf. Das Gesicht wird „leer“. Die Person könnte sich ablenken, unkonzentriert werden und eine stark verminderte Gemütserregung haben. Ich möchte an dieser Stelle auch etwas erwähnen: Mir ist aufgefallen, dass ich als Mann mit SSA natürlich diese Dissoziation habe, aber manchmal denke ich, dass es auch mit der Familiendynamik zusammenhängt. Ich habe das Gefühl, dass mein Vater sich manchmal von allen anderen abkapselt, sogar von meiner Mutter. Ich habe das Gefühl, er ist immer distanziert und „unerreichbar/nicht zu erreichen“, wie wir sagen. Und wenn ich mit meinem Bruder darüber spreche – er weiß über meine SSA Bescheid – stimmt er zu, dass mein Vater diese Probleme hat. Vielleicht, weil er seinen Vater in seiner frühen Kindheit verloren hat, also hat er vielleicht auch diese Trennung von seinem Vater. Wir können hier also festhalten , dass der Abwehrmechanismus im Erwachsenenalter fehlangepasst ist und zu einer Vielzahl von Problemen führt. Es besteht die Unfähigkeit, eine emotionale Bindung mit anderen Männern einzugehen, wodurch homoerotische Fantasien und Wünsche aufrechterhalten werden. Hier ist es wichtig, der Person bewusst zu machen, wie bestimmte Signale, einschließlich nonverbaler Kommunikation, Mimik und Gestik, ihre Gefühlszustände hemmen, insbesondere wie diese Signale die Person aus dem gesunden Zustand der Selbstbehauptung in den eingeschränkten Zustand der Scham stürzen. In solchen Situationen hilft die Therapie, da die Person sich in der verbundenen Situation von Klient und Therapeut wohlfühlt und gemeinsam daran arbeitet, nicht nur positive Affekte wie Freude und Liebe, sondern auch negative Affekte wie Scham, Angst und Wut zu regulieren.

Waheed: Soviel also zur Dissoziation: Wir dissoziieren uns irgendwie aufgrund von Auslösern in unserer Umgebung, und das geschieht im Wesentlichen aufgrund eines frühen Kindheittraumas. Und was ist mit einer anderen Sache, die wir sehr häufig sehen, nämlich der Projektion?

Fares: Richtig, Projektion. Das ist eine weitere Abwehr, und zwar gegen überwältigenden Stress. Das konnte man vorhin daran sehen, dass der Junge die gleiche Erfahrung der Affektstörung, die er mit der Mutter hatte, auf den Vater projizierte. Und wie ich schon bei der Dissoziation meines Vaters erwähnt habe, hängt das auch damit zusammen. Die Projektion selbst ist also ein kindlicher Abwehrmechanismus, der sich bereits im ersten Lebensjahr entwickelt, bei dem das Kind eine innere Repräsentation eines bestimmten traumatischen Ereignisses schafft und diese Repräsentationen auf andere projiziert. Und diese nonverbalen Repräsentationen dienen dazu, das Kind vor künftigen Traumata zu schützen. Die inneren Konstrukte, die es schafft, werden dann zur Grundlage für das Phänomen des Wiederholungszwangs. Und darauf werden wir später in dieser Folge eingehen, inshaAllah. Als Überlebens- und Bewältigungsmechanismus wird der Wiederholungszwang als Reaktion auf bestimmte soziale Anreize reaktiviert.

Waheed: Richtig. Was wir also hier mit Projektion meinen ist, dass wir dieselben Botschaften und Verhaltensweisen, die wir von unseren Eltern erhalten haben, auf andere Menschen, projizieren. Dissoziation hingegen bedeutet, dass wir in einen Zustand der Dissoziation, der Trennung von anderen, versetzt werden. Wir befinden uns in einem ernüchterten Zustand, weil wir Gesten, den Tonfall oder die Mimik anderer Menschen als Missbilligung interpretiert haben, oder sie könnten tatsächlich Missbilligung sein. Das hat uns entweder in eine Art Dissoziation gestürzt oder aber wir haben angefangen, Dinge, die wir verinnerlicht haben, wiederum auf andere zu projizieren.

Abwehrmechanismen: Wahres vs. Falsches Selbst

Waheed: Es gibt auch zwei sehr wichtige Abwehrmechanismen, und ich bin mir sicher, dass viele Zuhörer sich mit vielen Dingen, die wir jetzt sagen, identifizieren können. Das wahre und das falsche Selbst – das ist ein sehr wichtiges Thema und du wirst darauf in vielen Büchern stoßen, die über gleichgeschlechtliche Anziehung und Narzissmus sprechen. Was verstehen wir also unter dem Konzept des wahren und des falschen Selbst? Bei vielen homosexuell orientierten Männern oder Frauen gibt es, wie wir schon sagten, eine Verletzung im Kindesalter, die sich auf das Geschlechtsempfinden auswirkt – wir haben das in Folge #7 ein wenig besprochen, falls ihr euch erinnert. Wenn diese Scham verinnerlicht wird, entsteht ein Gefühl der Wertlosigkeit, und das können wir nicht tolerieren. So entwickelt das Kind schließlich diese beiden Abwehrmechanismen: das falsche Selbst und narzisstische Züge, über die wir im Detail sprechen werden. Diese beiden Abwehrmechanismen arbeiten zusammen und versuchen, die Defizite zu kompensieren, die durch die Beschämung/Herabsetzung entstanden sind. Sie dienen nicht nur als Überlebenstaktik, um unsere gegenwärtigen Interaktionen mit anderen Menschen zu bewältigen, sondern auch als Schutz vor zukünftigen Problemen, insbesondere dem Verlust von Bindungen oder Beziehungen in der Zukunft. Um das Gefühl der Akzeptanz und Zugehörigkeit innerhalb der Familie aufrechtzuerhalten, wenn diese Familie „mich nicht als Individuum mit eigenen Bedürfnissen und eigenem Wert sieht“, beginnt das Kind, eine kompromittierte Identität zu entwickeln.

„Ich bin lieber ein falscher Jemand als ein Niemand.“

Warum? Weil der Verstand dies als Auslöschung interpretiert. „Ich werde verschwinden.“ Das ist wie ein Totalausfall Von daher [denkt der Verstand]: „Nein, ich muss natürlich überleben.“ Um zu verhindern, dass das Kind als „Niemand“ ausgelöscht wird, fügt es sich dem Familiensystem. „Na schön, dann gebe ich eben meinen Eltern das falsche Selbst, das sie brauchen, um mich anzuerkennen, damit sie mit mir zufrieden sind und mir Aufmerksamkeit schenken.“ Wo liegt hier das Problem? Der Preis, den ich dafür zahlen muss, ist, dass mein echter Selbstausdruck, meine tatsächliche positive Bindung zu Menschen, beeinträchtigt und eingeschränkt wird.

Fares: Und auch die emotionale Regulierung.

Waheed: Natürlich, ja, die emotionale Regulierung wird stark beeinträchtigt. Und das sehen wir natürlich auch bei unserer Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, auch als Erwachsene. Nicolosi sagt:

Das falsche Selbst ist eine Zwangsjacke, die über die authentische Spontaneität und die natürliche Vitalität gelegt wird und dazu zwingt, jeden spontanen Ausdruck zurückzuhalten.

Mit anderen Worten: Unser gesamtes Verhalten muss irgendwie geplant werden. Unser Leben muss arrangiert werden. Unsere Beziehungen werden oberflächlich gehalten. Es ist uns verboten, authentisch oder echt zu sein, so interpretiert es unser Verstand, denn „ich will ja Scham vermeiden“. Das ist also das falsche Selbst. Was ist mit dem wahren Selbst? Das wahre Selbst ist die Haltung, durch die ein Mann oder eine Frau ihre wahren Gefühle fühlt und authentisch zum Ausdruck bringt. Mit anderen Worten: authentisch sein, echt sein, wahrhaftig sein, wer du bist und was du fühlst. Eine Therapie ist in diesem Fall wichtig und ein anständiges Hilfsnetz ist ebenfalls wichtig, weil es uns hilft, von unserem falschen Selbst zu unserem wahren, authentischen Selbst zu gelangen. Lasst uns jetzt Beispiele nennen. Fares und ich werden jetzt einige Beispiele für das falsche Selbst nennen und ich bin mir sicher, dass sich viele von uns mit einigen von ihnen identifizieren werden. Das klassische falsche Selbst, das vor allem bei Männern mit gleichgeschlechtlichen Anziehungen am häufigsten vorkommt und in der Kindheit am frühesten und häufigsten auftritt, ist das des „braven kleinen Jungen“. Dieser nette, harmlose Junge, der es den Leuten immer recht macht. Es ist ein Versuch, dieses gesellschaftlich akzeptierte Selbst zu präsentieren. Aber was tue ich eigentlich gerade? Ich verstecke all meine Gefühle. Ich komme dem Bedürfnis nach, gesellschaftlich dazuzugehören und akzeptiert zu werden, und ich schütze mich vor möglichen beschämenden Momenten in der Zukunft. Auch das hat einen hohen Preis, wie Nicolosi sagt:

Es hindert den Jungen daran, seine natürlichen männlichen Bestrebungen zum Ausdruck zu bringen und seine gleichgeschlechtlichen Bindungsbedürfnisse zu befriedigen. Diese Persona verursacht eine tiefe, affektive Vermeidung und lässt die Person schließlich mit einer chronischen, unbefriedigten Sehnsucht nach tiefer menschlicher Verbundenheit zurück.

Wir verlieren diese Verbindung zu anderen Menschen. Das ist das Problem. Was passiert jetzt, wenn dieses Kind erwachsen wird? Dieser „brave kleine Junge“ wird zum „netten Kerl“, nicht wahr? Immer gefügig, passiv, vielleicht sogar mit einer abhängigen, gefälligen Persönlichkeit, die ständig die Anerkennung anderer sucht, ich will, dass alle mit mir zufrieden sind. Ich will nicht, dass irgendjemand enttäuscht von mir ist.“ Er geht Konflikten aus dem Weg und neigt dazu, sich einzuschränken, zu verteidigen und sich von anderen Menschen zu sehr kontrollieren zu lassen. Er ist immer zögerlich und hat ständig Angst, verletzt zu werden. Jemand könnte also sagen: „Ich weiß, wie man sich um die Bedürfnisse anderer kümmert. Aber ich weiß nicht, wie ich den Leuten meine eigenen Bedürfnisse mitteilen kann. Ich tue, was ich denke, was ich tun sollte, aber dann fühle ich mich betrogen. Ich werde verletzt. Ich fühle mich angewidert und löse mich dann aus Beziehungen, ohne dass ich das überhaupt merke.“ Und das ist ein großes Problem.

Fares: Was es noch schlimmer macht, ist, dass manche Männer zum Beispiel Frauen daten wollen, und wenn sie sich wie der nette Kerl verhalten, werden viele Frauen nicht zufrieden sein, weil sie nicht immer den netten Kerl brauchen, sondern einen durchsetzungsfähigen Mann, und schließlich scheitern sie daran, diese Frauen zu daten und am Ende zu heiraten, und das ist auch eine Folge des falschen „netten Kerl“-Selbst, sagen wir mal. Das zweite Beispiel ist der theatralische Unterhaltungskünstler, der seltener anzutreffen ist, und der theatralische Entertainer ist aufgeschlossen und exhibitionistisch. Die Person, die diesen Stil annimmt, muss die Konversation am Laufen halten und dafür sorgen, dass alle mit ihr zufrieden sind. Alles, was weniger als begeisterte Zustimmung von anderen ist, wird als persönliche Ablehnung interpretiert. „Ich muss die ganze Zeit Mr. Persönlichkeit sein. Wie wirke ich? Was denken sie über mich? Mögen sie mich? Oder mögen sie mich nicht?“ Der theatralische Unterhaltungskünstler scheint Kraft, Energie und Vitalität zu haben. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich eine gezwungene und unter Druck stehende Animation, eine oberflächliche Intensität, die in Wirklichkeit von Angst getrieben ist und ihn letztlich erschöpft.

Waheed: Absolut. Mit anderen Worten: Es gibt eine innenwohnende Sorge und es gibt Angst. Aber wir setzen uns diese Maske auf, dass wir immer „Mr. Persönlichkeit“ sein wollen. Aber es gibt immer die Angst, dass andere weniger von mir halten. Ein weiteres, sehr verbreitetes falsches Selbst, das wir heutzutage häufiger sehen, ist diese unverschämte, hyperfeminine Figur, die irgendwie stereotypisch ist. Der Mann, der diesen Stil annimmt, ist hyperfeminin und wird zum Beispiel in der schwulen Community bei Gay Pride Paraden gesehen, wo er seine weibliche Seite zur Schau stellt. In gewisser Weise ist das ein direkter [aggressiver] Verstoß gegen die gesellschaftlichen Normen. Und die Person ist… der Stil ist irgendwie ausgefallen. Heutzutage sieht man all diese Fernsehsendungen und die Beispiele von Drag Queens, stimmt’s? Sie tragen alle diese auffälligen Klamotten und haben ihren eigenen Sprachstil und all das. Die Befriedigung des falschen Selbst wird also darin gesehen, andere zu schockieren, gegen die gesellschaftlichen Normen zu verstoßen oder etwas zu tun, das irgendwie seltsam und exquisit ist, nicht?

Fares: Richtig, ja. Und eine andere Form des falschen Selbst ist der wütende Aktivist, der hypermaskuline Charakter. Der wütende, hypermaskuline Charakter greift politische und soziale Normen an. Er ist konfrontativ, kämpferisch und schließt sich oft militanten schwulen Aktivistengruppen an, die zu seiner neuen Familie werden.

Waheed: Genau, wir haben also auf der einen Seite den Hyperfemininen und auf der anderen Seite den Hypermaskulinen. Und wenn wir das irgendwie analysieren würden, ist das alles mit einer dazugehörenden Unsicherheit behaftet. Und es gibt noch weitere Beispiele für das falsche Selbst, aber das sind nur einige davon. Der Mann, der mit dem Gefühl des falschen Selbst lebt, hat sozusagen die statische Rolle, dass er nicht völlig lebendig ist. Die Person hat das Gefühl, tief im Inneren ein Hochstapler zu sein, sogar gegenüber sich selbst. Gefangen von den Ansprüchen anderer, leidet die Person unter chronischer Reizbarkeit, Groll und versteckter Feindseligkeit. Wie du dir vorstellen kannst, ist die Wurzel dieses Problems ein Vertrauensproblem. Weil in meiner frühen Kindheit ein grundlegendes Vertrauen verletzt wurde, scheine ich nicht in meine Beziehungen zu investieren [d. h. scheine ich anteilnahmelos]. Also agiere ich in dem einen oder anderen Extrem: Entweder meide ich andere komplett, weil ich ihren Motiven nicht traue, oder ich schenke ihnen unterschiedslos mein vollstes Vertrauen. Und so gehe ich, wie man so schön sagt, mit einer „diskreten Selbstauskunft“ vor. Ein Mann beschrieb es folgendermaßen: „Meine Identität entsteht dadurch, dass ich die Erwartungen anderer Menschen erfülle. Ich fühle mich benutzt. Ich fühle mich müde. Ich fühle mich ausgelaugt. Es ist, als ob ich nicht existiere, leer bin. Ich habe kein Ziel. Ich habe keinen Boden unter den Füßen. Ich habe kein Zuhause. Ich habe keinen Ort, an den ich gehöre. Ich schlafe sogar tagsüber ein, nur um einen Fluchtmöglichkeit zu finden. Ich würde am liebsten schreien und die Mauern einreißen, die mich binden. Aber welche Mauern? Ich sehe keine Mauern, nur einen leeren, dunklen Raum in mir. Ich bin dieser dunkle Raum.“ Von daher: Nur wenn wir all die Traurigkeit und den Ärger im gegenwärtigen Moment vollständig erfahren, können wir als Einzelne anfangen zu heilen und all das zu betrauern. Wenn wir versuchen, diese Blockade zu überwinden, ist das eine der größten Herausforderungen für eine wirklich erfolgreiche Behandlung und Heilung. Wie können wir das schaffen? Darüber werden wir inshaAllah in Folge 11 sprechen, wenn wir über Therapiekonzepte sprechen.

Abwehrmechanismen: Narzissmus

Waheed: Wie wär’s, Fares, wenn du uns zum nächsten Punkt führst, nämlich dem riesigen Thema des Narzissmus.

Fares: Ja, und der ist immer mit Scham verbunden. Ein weiterer gängiger Abwehrmechanismus von Homosexualität oder homosexuell orientierten Männern ist also Narzissmus. Bevor wir auf den Narzissmus eingehen, müssen wir einen Blick auf die menschlichen Bedürfnisse werfen. Grundsätzlich hat Maslow zwei Hauptaspekte von Bedürfnissen definiert: die Mangel- und die Wachstumsbedürfnisse. Mangelbedürfnisse sind unsere Grundbedürfnisse, und davon gibt es vier: physiologische Bedürfnisse wie Nahrung und Wasser, Sicherheit und Geborgenheit, soziale Bedürfnisse und Geltungsbedürnisse [im Sinne von Wertschätzung/Ansehen]. Wachstumsbedürfnisse liegen auf höheren Ebenen wie kognitive und ästhetische Bedürfnisse, Selbstverwirklichung und Transzendenz [Erhabenheit/Überlegenheit]. Den meisten von uns Männern mit SSA fehlt das Gefühl der Sicherheit, der Zugehörigkeit, des Geliebtwerdens und des Selbstbewusstseins, und einige von uns haben Schwierigkeiten, einen guten Körper zu entwickeln. So werden viele von uns erwachsen, ohne dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden, was unsere Wachstumsbedürfnisse und Selbstverwirklichung ins Ungleichgewicht bringen kann. Ich möchte hier einen Psychiater und SSA-Spezialisten in Ägypten, Dr. Shehab Eldeen Al Huwary, zitieren, der erwähnte, dass der Säugling, sobald er aus dem Mutterleib ins Leben „geschlüpft ist“, sich in einem grenzwertigen Dilemma befindet und das Gefühl hat, „schlecht“ zu sein. Aus diesem Grund muss er von der Mutter gesehen und gespiegelt werden. Wenn die Mutter ihn gespiegelt hat, wird er das Gefühl haben, „gut“ zu sein. Aber danach braucht es einen starken und bestärkenden, [scheinbar/in seinen Augen] perfekten und hervorstechenden Vater, der zärtlich und stark ist, um eine ermutigende Begleitung [Gefährtenschaft] zu bekommen. Das Kind muss den Vater als „verherrlichten Anderen“ sehen, und durch diese Zusammenarbeit und den Erfolg mit dem Vater erkennt es dann, dass jemand besser ist als es selbst, und dass es unvollkommen und begrenzt ist und seine Grenzen akzeptiert. Wenn all das geschehen ist, schließt es die narzisstische Phase der Kindheit ab, um seinem gesunden und ausgeglichenen Selbstwertgefühl, seiner Männlichkeit, seiner Kompetenz und seinem gesunden Ego nachzugehen, um erfolgreich durch das Spiegelkabinett namens Leben zu gehen.

Waheed: Mit anderen Worten: Du sagst, dass die narzisstische Phase in der Kindheit eine normale Phase in der Kindheit ist, richtig? Wir alle machen sie durch und wir müssen durch diese Phase geführt werden, um uns zu etablieren, richtig?

Fares: Richtig. Und wenn wir diese Phase nicht durchlaufen haben, treten Probleme auf. Wenn die Eltern es also versäumten, es [das Kind] zu sehen und zu unterstützen oder seine Versuche behinderten, seine narzisstische Phase in der Kindheit zu erreichen, wird sich das Kind eine andere Umgebung suchen, die seine unerfüllten Bedürfnisse erfüllt. Wenn es ihm nicht gelingt, diese Phase zu erreichen und ein geeignetes Umfeld für sich zu finden, denkt es vielleicht, dass etwas in ihm nicht stimmt. Normalerweise ist dieses Gefühl Scham. Aber es gibt auch eine andere Art der Abwehr: Wenn es diese Scham leugnet, indem es annimmt, dass nicht es, sondern die anderen schuld sind, entwickelt es schließlich ein phantasiertes, verinnerlichtes Bild von sich selbst, das es schließlich dazu bringt, narzisstische Züge und Verhaltensweisen zu entwickeln. Diese können als ein frühes Entwicklungsstadium in der Kindheit angesehen werden, auch wenn die Person schon erwachsen ist. Diese Eigenschaften oder Verhaltensweisen sind ein letzter Schutz vor den anderen um ihn herum. Wenn es ihm nicht gelingt, von anderen wahrgenommen zu werden, neigt es dazu, mit diesen störenden Gefühlen umzugehen und einer schlechten Situation zu entkommen, indem es ein falsches, positives Bild von sich selbst darstellt und auf betrügerische Weise bei anderen nach Nahrung dafür sucht.

Waheed: In diesem speziellen Fall, von dem du sprichst, geht es also darum, andere Menschen zu manipulieren, um Aufmerksamkeit zu erlangen, anstatt authentisch mit ihnen umzugehen. Und das bewahrt uns wiederum vor Scham, nicht? In diesem Fall geht es der Person also darum, ein idealisiertes Bild von sich selbst zu vermitteln, um besondere Aufmerksamkeit zu bekommen. Quasi nach dem Motto, „um besondere Aufmerksamkeit zu bekommen, muss ich manipulieren.“ Nicolosi sagt:

Durch dieses übermäßige Bedürfnis, gesehen zu werden, bekommt der Narzisst nie genug Bestätigung. Die Menschen in seinem Leben werden durch sein unerbittliches Anspruchsdenken ständig verunsichert. Er ist immer bereit, sich gegen das Gefühl zu wehren, beleidigt oder verletzt zu sein, nicht gewürdigt oder ignoriert zu werden. In seiner Selbstbezogenheit wird er nur begrenzt in der Lage sein, echtes Mitgefühl zu zeigen. Da er sich schnell als Opfer fühlt, ist er oft nachtragend und rächend. Der Narzisst wird als eine Person beschrieben, für die es nie genug ist. Der Preis dafür, dass er seinen Willen durchsetzt, ist, dass er am Ende allein dasteht.

Bei narzisstischem Verhalten geht es wie gesagt darum, einige äußere Variablen in meinem Umfeld zu manipulieren, um mich vor Scham zu schützen. Und in vielen Untersuchungen aus den neunziger Jahren wurde beschrieben, dass Scham sozusagen „die Schattenseite des Narzissmus“ ist, mit ihren abwechselnden Gefühlen von Stolz und Selbstverachtung. Stolz und Selbsthass, sie gehören untrennbar zusammen, wie einige Forscher gesagt haben. Sie sind zwei Ausdrucksformen desselben Prozesses. Auch die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist durch eine unzureichende Fähigkeit der Schamregulierung gekennzeichnet. H. B. Lewis stellte 1980 fest, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung auch unter Scham leiden. Und Alfred Adler beschrieb 1969 den narzisstischen Überlegenheitskomplex als Kompensation für einen Minderwertigkeitskomplex, und über den Minderwertigkeitskomplex haben wir ja schon in Folge 8 gesprochen.

Fares: Und ich möchte noch erwähnen, dass die Person diese Manipulationen beim Narzissmus meist nicht erkennt bzw. nicht sieht, dass sie manipuliert. Sie tut das automatisch, als Reaktion. Daran hat sie sich von klein auf gewöhnt. Sie wird [es] also niemals zugeben. Innerlich weiß sie, dass mit diesen Dingen etwas nicht stimmt, aber vielleicht erkennt sie es nicht oder kann es sich nicht eingestehen. Was den manipulativen Aspekt des Narzissmus angeht, so kann ich jetzt erkennen, dass es sich um einen ungesunden Bewältigungsmechanismus handelt, wenn man sich ignoriert oder ungesehen fühlt – eine Wiederholung dessen, was ich in meiner Kindheit erlebt habe. Als ich das Wort „Manipulation“ las, klang es für mich zunächst sehr negativ. Es ist, als würde man etwas Illegales tun, und ja, es ist nicht gesund. Aber es geht um das Verhalten selbst, nicht um mich! Sogar in der Gemeinschaft von Genesenden2 habe ich oft von der narzisstischen, manipulativen Mutter gehört, und zwar in dem Maße, dass ich meine Mutter hasste. Aber mit der Zeit, als ich anfing, Narzissmus tiefer zu verstehen, stellte ich fest, dass meine Mutter auch nur ein Opfer war und ich sie mit ihren narzisstischen Zügen leider stigmatisiert hatte. Deshalb ist es am Ende sehr wichtig, dass wenn man sich mit psychologischen Themen beschäftigt, dass ich mich selbst verstehe und nicht diagnostiziere. Es ist entscheidend, meinen Teil der Interaktion zu verstehen und zu wissen, was meine Pflicht vor meinem Recht ist. Es braucht Zeit, die Schichten dieses Spiegels abzuwischen, und wenn der Spiegel einmal sauber ist, kann ich mich und andere klar sehen. Im Allgemeinen neigen wir Menschen dazu, aus einer narzisstischen Perspektive zu sprechen. Wenn wir also über das Bedürfnis nach Spiegelung und seine Kontrolle über fast alle unsere Interaktionen sprechen, schwankt es auf dem Pendel des Narzissmus, mit manipulierten Zügen wie, „ich muss überspielen, wie sehr ich gelitten habe“. Und normalerweise schwankt sie [die Interaktion] zwischen Großartigkeit und Minderwertigkeit. Und das verleiht SSA vor allem das Merkmal der Ambivalenz [Zwiespältigkeit].

Waheed: Für alle, die sich das fragen: Was genau meinen wir, wenn wir von „spiegeln“ sprechen? Was meinst du damit?

Fares: Ich meine die Art und Weise, wie du dich selbst, wie du deinen Wert siehst. Wenn ein Kind oder ein Säugling aus dem Mutterleib kommt, denkt er vielleicht: „Ich bin schlecht.“ Wenn die Mutter ihn genau betrachtet und ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtet, wird er sehen, wie wertvoll er in den Augen der Mutter ist. Er wird sehen, dass er zur Ruhe kommen wird. [Er versteht:] Alles wird gut, sozusagen. Die Mutter spiegelt den wahren Wert wider, den Gott in uns sieht. Die Mutter repräsentiert sozusagen die Augen Gottes. Wenn er also seinen wahren Wert in den Augen seiner Mutter sieht, wird er bereit sein, hinauszugehen – aus der Angst der Mutter herauszugehen und seine narzisstischen, kindlichen Züge zu erleben, wobei dann auch der Vater bereit sein wird, ihn zu empfangen – wenn er ein herausstechender Vater ist – um ihn mitzunehmen und ihn auf dieser Reise zu begleiten.

Waheed: Okay, perfekt. Danke.

Fares: Also, nehmen wir folgende Beispiele. Wenn ich sage: „Ich verdiene es, gesehen zu werden“, ist das sozusagen wie ein Pfau [der sich zur Schau stellt] oder wie: „Ich bin zweifellos besser als sie“. Und das ist der sogenannte „grandiose Narzissmus“. Wenn ich aber sage: „Ich verdiene es nicht, gesehen zu werden“ – und das ist irgendwie Scham – oder „Ich bin zu verletzt, um von ihnen gesehen zu werden“, ist das der sogenannte „vulnerable Narzissmus“. Wenn ich jedoch sage: „Ich habe Angst, gesehen zu werden“ – und das ist eine Art soziale Unsicherheit – dann ist das die „narzisstische Hauptbarriere“, die mich vor anderen Menschen schützt. Warum wird das alles als Narzissmus bezeichnet? Der Narzisst oder der Mann, der narzisstische Züge hat, kümmert sich in der Regel am meisten um sich und sein Ego. Es geht ihm vor allem um seine Bedürfnisse, seine Probleme, seine Vorteile und sein Image. Wenn er also sagt: „Ich bin derjenige, der gesehen werden will“, können wir deutlich sehen, dass der Fokus hier auf dem „Ich“ liegt und es sich um eine Art Zwang handelt. Das ist die narzisstische Selbstbezogenheit, die wir hier sehen. Am Ende verfallen wir alle in eine Art narzisstische Fixierung. Was ich mit Fixierung meine, sind diese Momente, in denen wir feststecken oder nicht wissen, dass wir… Wir haben etwas falsch gemacht, aber wir wissen nicht, was es ist. Es ist etwas Egoistisches. Manchmal wissen wir nicht, wie wir damit umgehen sollen. Narzissmus ist also der Spiegel, durch den jeder Mensch sich selbst sehen muss, aber mit einem anderen Spiegelbild. Und die Lösung ist, objektiv zu sein und die Fakten zu beschreiben und nicht aus Egoismus heraus zu sprechen. Narzissmus gilt auch als Schutz vor Kummer. Wenn das Leben schwer wird, suchen wir diesen Schutzraum auf. Entweder geben wir vor, stark zu sein, um weiterzumachen, und nehmen so die narzisstische Haltung ein, oder wir fangen an, andere Menschen zu beschuldigen und sie in Teufel und Engel einzuteilen und nehmen so die Borderline-Haltung ein. Manche von uns bleiben also in diesem narzisstischen Borderline-Schutzraum stecken, und wenn wir in diesem Schutzraum bleiben, wird unser Wachstum behindert. Die Fixierung auf den Narzissmus schützt die Person vor der Verwirrung, die bei den Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder -Eigenschaften auftritt, davor, zwischen der Begrenzung auf sich selbst und auf die Welt hin und her zu schwanken, manchmal nur in der Ecke des Guten und manchmal nur in der Ecke des Bösen. Es schützt die Person auch vor dem Vertieftsein in sich selbst und der Trennung von der Welt, wie sie bei Erkrankungen wie Schizophrenie vorkommt, und schützt die Person davor, sich sozusagen zersplittert, verloren und tot zu fühlen. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie viele Menschen all diese Hindernisse überleben würden, indem sie die instabilste Abwehr entwickeln, nämlich den Narzissmus. Im Gegensatz zu dem, was negativ über Narzissmus gesagt wird, ist Narzissmus eine Gnade Gottes. Wir müssen ihn als eine humanistische Dimension der Art und Weise betrachten, wie Menschen mit Problemen in ihrem Leben umgehen. Es gibt ein breites Spektrum narzisstischer Züge, das von bösartigem, grandiosem, exhibitionistischem bis hin zu vulnerablem und gemeinschaftlichem Narzissmus reicht. Auch hier gilt: Narzissmus ist nur eine Dimension von vielen, die wir Menschen in unseren Interaktionen haben. Er ist niemals ein Stigma. Es ist ein Überlebensmechanismus, den wir nutzen, um davor zu fliehen, nicht gesehen oder ignoriert zu werden. Je mehr wir uns selbst und unsere Verantwortung vor unseren Rechten verstehen, je mehr wir diese Etiketten entfernen, desto klarer und weiser können wir uns selbst und andere Menschen in unserem Leben sehen.

Herausforderung: Männliche Freundschaften entwickeln

Waheed: Wenn wir uns um die Entwicklung von Männerfreundschaften bemühen, ist das eine Herausforderung für die Scham und den Narzissmus. Wie ein Mann sagte: „Wenn ich mit anderen Männern bin, scheinen sie sich wohl zu fühlen, aber ich fühle mich ausgeschlossen. Ich gehe nicht auf sie ein. Ich tue so, als wäre ich bei ihnen, aber ich tue nur so.“ Die größte Herausforderung für die Person, die SSA in der Beziehung zu anderen Männern erlebt, besteht also darin, die antizipatorische Scham, über die wir gesprochen haben, zu überwinden, die tief im Inneren und aus bestimmten narzisstischen Bedürfnissen heraus entsteht. Er muss die Vorstellung von seinem falschen Selbst, „dem netten Kerl“, aufgeben und versuchen, in seinem wahren Selbst zu bleiben. In diesem assertiven [durchsetzungsfähigen/selbstbewussten] Selbstzustand wird das wahre Selbst, die wahre Bindung und Geschlechtsidentifikation möglich. Wir sehen also, dass es eine Tendenz gibt, zwischen zwei Extremen hin und her zu schwanken: entweder sich völlig minderwertig, oder sich völlig großartig zu fühlen. Und das ist die Ambivalenz von SSA, von der du vorhin gesprochen hast, Fares, richtig? Wenn wir das erkennen, entwickeln wir eine realistische Wahrnehmung von uns selbst im Vergleich zu anderen Menschen. Mit anderen Worten: Was ist die Botschaft, die wir mitnehmen können? Wie stehen wir zu anderen Menschen? Die Aufgabe besteht darin, dass wir uns selbst als echte Männer, echte Menschen, echte Frauen sehen und andere Menschen als echte Männer oder echte Frauen. Woran erinnert uns das jetzt? Erinnert euch an Folge 3, als wir über Verwundbarkeit sprachen und Brené Brown sagte, dass Verwundbarkeit keine Schwäche ist und sie Verwundbarkeit als emotionales Risiko, Ausgesetztsein [Entblößung] und Unsicherheit definiert. Sie treibt unser tägliches Leben an. Und sie ist zu der Überzeugung gelangt, dass Verwundbarkeit unser genauester Maßstab für Mut ist. Verwundbar zu sein bedeutet, sich sehen zu lassen und ehrlich zu sein. Das ist es also, was es braucht, um das Gefühl zu haben, dass ich eine Arena betrete, in der ich keine Angst davor habe, ich selbst zu sein, bzw. keine Angst davor zu haben, transparent zu sein, meine wahren Gefühle zu zeigen und diese Masken nicht mehr zu tragen, dieses falsche Selbst abzulegen und einfach mit dem umzugehen, was das Leben mir gibt. Das meinen wir mit „das wahre Selbst zu leben“: das Unerwartete anzunehmen, auf den Wellen zu surfen, wie sie kommen, dabei ich selbst zu sein, echt zu sein. Und Risiken einzugehen, genau. Und genau das bedeutet es, verwundbar zu sein und tatsächlich kein Problem damit zu haben. Und das ist sehr schwierig, es ist nicht einfach. Aber so können wir uns auf unser wahres Selbst zubewegen und uns selbst annehmen. Und das ist, was wir unter Selbstliebe verstehen. Das bedeutet nicht, dass ich stolz oder total egoistisch bin. Nein. Es bedeutet, mit mir selbst im Reinen zu sein, mich selbst zu lieben, diese Maske abzulegen und die Person zu sein, die ich wirklich sein will, und zwar aus dem tiefen Inneren heraus.

Fares: Weißt du, Waheed, es ist interessant, dass unsere Religion die Religion der Mitte ist, die wasatiyya. Wir müssen natürlich bescheiden sein, aber wir müssen auch gleichzeitig selbstbewusst sein. Wenn wir diese Aspekte ausbalancieren, also weder minderwertig noch großartig [im Sinne von pompös/extravagant] sind, dann sind wir auf der sicheren Seite. Aber wenn wir in Extreme gehen, ist das das Problem.

Waheed: Ganz genau. Am Ende geht es also um den Mittelweg, absolut. Sehr schön gesagt, ja. Ich werde jetzt ein paar Beispiele nennen. Wenn Männer zum Beispiel eine Beziehung mit anderen Männern eingehen – und ich spreche hier von Freundschaften oder dem Kennenlernen anderer Menschen -, geraten viele von uns in eine Situation, in der sie die andere Person überidealisieren oder sich in sie vernarren. „Die andere Person vervollständigt mich. Sie ist perfekt. Ich habe endlich die Person gefunden, nach der ich gesucht habe“, nicht wahr? Das Problem ist, dass wir nicht bereit sind, diese Verzerrungen, die wir in unserem Kopf haben, anzuerkennen, bis wir diese schmerzhaften Enttäuschungen erleben, was irgendwann passieren wird. Dann werden unsere Illusionen zerstört und wir sind gezwungen, unsere Freundschaften ehrlicher zu betrachten. „Soundso geht mir aus dem Weg. Er sagt, ich sei zu sensibel und zu gefühlstief. Es ist schmerzhaft zu erkennen, dass meine Verzweiflung ihn weggetrieben hat.“ Und dann gibt es noch das Selbstgespräch: „Ich schaffe diese Beziehungen, von denen ich mir einbilde, dass sie meine Leere füllen. Es ist hoffnungslos. Ich werde mich für den Rest meines Lebens so fühlen. Ich bin ein Stück Dreck.“ Das sagen wir uns, wenn wir enttäuscht sind oder uns von den Menschen verletzt fühlen, von denen wir hohe Erwartungen hatten. Das wird dann mehr oder weniger als Trauerprozess interpretiert. Ich habe die Illusion, dass dieser Soundso alle meine Bedürfnisse erfüllen wird. Es geht hier also darum, diese Person als Individuum zu sehen und zu akzeptieren, so wie sie wirklich ist. Mit anderen Worten: Ich versuche, die andere Person nicht so zu formen, dass sie mir gefällt. Manche Menschen müssen sich irgendwann damit abfinden, dass sie das Gefühl haben, dass sie diese Beziehungen quasi erfinden. Sie konstruieren diese Interaktionen und sie werden nie so, wie sie es sich erhofft haben. Und manchmal wird die Aufgabe des Einzelnen, diese Freundschaften aufzubauen, durch zwei gegensätzliche Gefühle erschwert. Auf der einen Seite gibt es diese starke Sehnsucht, jemandem sehr nahe zu sein, und auf der anderen Seite gibt es die Angst, von dieser Person zurückgewiesen zu werden, und beides wirkt zusammen. Viele Therapeuten sagen, dass das Element der Psychoedukation3 sehr wichtig ist, um diese unmittelbare Intimität zu klären. So entstehen normalerweise keine Freundschaften. Es ist nicht realistisch, das zu erwarten. Es ist wichtig zu erkennen, dass sich Freundschaften schrittweise und über einen längeren Zeitraum hinweg entwickeln müssen – so wie unsere Freundeskreise, richtig? Wir haben diesen inneren Kreis, in dem wir in der Mitte des Kreises stehen und vielleicht ein, zwei oder drei innige Freunde haben. Und dann gibt es den äußeren Kreis mit, sagen wir, sechs bis acht flüchtigen Freunden, und von diesen flüchtigen Freunden können wir erwarten, dass sich ein paar innige Freundschaften entwickeln. Aber das passiert nicht sofort, oder? Sie können nicht erzwungen werden. Das hilft also, die Ängste der Person zu reduzieren und ermöglicht es ihr, sich mehr darauf zu konzentrieren, realistisch zu sein und gesündere und weniger verstrickte Beziehungen zu anderen Menschen zu entwickeln, egal ob es sich um Männer oder Frauen handelt – das Gleiche gilt für Frauen mit SSA. Wir sehen also ein sehr verbreitetes Problem.

Fares: Ich möchte noch etwas hinzufügen: Manche Menschen, z. B. Männer mit SSA, erleben diese innigen Freundschaften gar nicht bzw. sie haben keinen innigen Freund in ihrem Umfeld. Und so wird ihre Sehnsucht nach einer Freundschaft bzw. innigen Freundschaft sehr intensiv. Das kann bei ihnen auch den Wunsch nach Intimität wecken. Das muss natürlich auch in Betracht gezogen werden. Aber es gibt auch zwei Aspekte oder zwei verschiedene Arten der Beziehung zu anderen Männern: die eine ist eros, die sexuelle oder erotische Art, und die andere ist philia, die brüderliche oder väterliche Art. Diese Unterscheidung wird im größeren Kontext des Lebens in Schamhaltung und des Lebens im Zustand der gesunden Selbstbehauptung besser verstanden. Normalerweise heißt es: „Sobald ich mich besser fühle, lässt meine homosexuelle Anziehung nach. Ich werde nicht von Scham getrieben, sondern von Selbstbehauptung.Wenn wir erkennen, dass unsere homosexuellen Anziehungskräfte nicht in erster Linie durch die Attraktivität des anderen Mannes, sondern durch unser Selbstwertgefühl ausgelöst werden, vollzieht sich ein bedeutender Wandel. Wir entdecken, dass unsere SSA aus unserer Tendenz resultiert, uns zu anderen Männern nicht als gleichwertig [ebenbürtig] zu verhalten, sondern aus der Schamhaltung heraus. Umgekehrt sind unsere homoerotischen Interessen abwesend, ja belanglos, wenn wir mit anderen Männern aus einer selbstbewussten Haltung heraus in Beziehung treten. Ein Mann sagte:

Mir ist aufgefallen, dass ich, wenn ich mir meiner Männlichkeit sicher bin, keine Männer anschaue. Wenn ich mich gut fühle, denke ich nicht einmal an sie.

Das stimmt, und ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich fühlte mich immer zu bestimmten Männern hingezogen, meistens zu blonden Männern. Ich erinnere mich noch, wie ich in Ägypten und Polen an Selbsthilfegruppen teilnahm. In Kairo nahmen wir einmal an einem Treffen der Selbsthilfegruppe ohne Aufsicht teil, da der Psychiater und sein Assistent nicht anwesend sein konnten. Es war eine außergewöhnliche Gruppentherapiesitzung, quasi die fröhlichste und spontanste Sitzung, an der ich je teilgenommen habe. Ich erinnere mich daran, dass ein Mann mit blonden Haaren in die Gruppe kam – zum ersten Mal in meinem Leben – und zu reden begann. In der Gruppe gab es eine Regel: Wenn sich jemand zu einem anderen Mann hingezogen fühlt, sollte er ihm das beichten und angehört werden. Also erzählte dieser Mann von seinem Weg. Ich dachte, er sei ein Neuankömmling. Dann stellte ich fest, dass er seit drei Jahren nüchtern [hier in Bezug auf SSA, nicht Alkohol] und in Therapie war. Ich weiß noch, dass ich meine Augen nicht von ihm lassen konnte und ihn sogar idealisierte. Ich wollte unbedingt sein Freund sein und ich glaube, viele andere wollten das auch. Gleichzeitig war ich so froh, dass wir alle unsere tiefen Gefühle in diesem geschützten Raum offen miteinander teilen konnten. Nachdem die Sitzung beendet war, gingen wir gemeinsam in ein Restaurant. Wir waren an diesem Tag nicht weniger als 15 bis 20 Leute. Alle Männer erholten sich von unerwünschten gleichgeschlechtlichen Verhaltensweisen oder Anziehungen. Als ich anfing, mit diesem Mann offen über meine SSA zu sprechen, fühlte ich mich erleichtert. Mit der Zeit erzählte er mir von seinen tiefsten Problemen. Wir tauschten Gedanken und Gefühle aus. Ich spürte diese Intimität und Gegenseitigkeit, nachdem ich ihn idealisiert hatte. Ich spürte, wie meine Anziehungskraft auf ihn nachließ. Wir gingen zusammen raus und unterhielten uns. Er war immer ruhig, ein guter Zuhörer und sehr spirituell, mashaAllah. Ich spürte, wie er sich verändert hatte, und er war wie ein Vorbild für mich. Und allmählich, als ich ihn näher kennenlernte, sah ich seine Schwächen und er sah meine. Aber bei ihm herrschte ein Gefühl der Ruhe und des Friedens [in mir]. Dann spürte ich, dass sich diese Beziehung von einer therapeutischen Freundschaft mit einigen sexuellen Reizen in eine brüderliche Verbindung verwandelte und mein SSA sich auflösten. In diesem Moment glaubte ich, dass eine Veränderung möglich ist. Das Gleiche passierte, als ich in Polen mit einigen Jungs näher in Kontakt kam, als ich sah, was hinter ihren Körpern steckt: nämlich ihre Kämpfe, ihre Ängste, ihre Scham und ihre Verwundbarkeit. Mir wird dann klar, wie ähnlich wir uns eigentlich sind und dass diese Art von Verbindung [von Männern auf Augenhöhe] wichtig und notwendig ist, damit meine Reise weitergehen kann.

Waheed: Wunderschön. MashaAllah! Vielen Dank, dass du das mit uns geteilt hast.

Fares: Gern geschehen. Eine anständige Therapie und Unterstützung versucht also, den Einzelnen für den gefühlten Unterschied zwischen zwei Zuständen zu sensibilisieren: die aufregende, sogar spannende, aber oberflächliche Befriedigung narzisstischer Aufmerksamkeit, das Gefühl, verehrt zu werden, für Äußerlichkeiten bewundert zu werden usw., und die weniger aufregende, aber reichhaltigere Befriedigung einer vollen, gegenseitig bejahenden [bestätigenden] Verbindung, des Respekts, der Wertschätzung, der Kultivierung positiver Charaktereigenschaften. Keine narzisstisch geprägte Beziehung kann emotionales Wachstum bieten, sondern nährt nur das unstillbare Bedürfnis nach besonderer Aufmerksamkeit. Und wenn die andere Person sein Bedürfnis nicht befriedigt, greift der Mann zu den bekannten narzisstischen Manövern wie Schmeicheleien, Launenhaftigkeit, Schuldzuweisungen oder Wutausbrüchen. Ein Mann sagte: „Mein ganzes Leben lang gab es gute Männer wie X, die ich abgewiesen habe, ich habe sie abgewiesen. Ich habe also nicht das leere Loch gefüllt, sondern einen Zaun um dieses Loch gebaut. Ich habe sie nicht reingelassen. Wenn ich an X denke, denke ich, dass ich seine Freundschaft nicht verdiene. Warum verschwendet er seine Zeit mit mir? Ich habe Angst, dass er mich ablehnt, dass er sich nicht für mich interessiert. Ich baue eine Barriere auf. Dann will ich ihn dazu bringen, mich zu bemitleiden, damit ich mehr Aufmerksamkeit von ihm bekomme. Ich übertreibe es, damit er mir Aufmerksamkeit schenkt. Ich weiß, dass ich ihn damit wahrscheinlich aus der Beziehung vertreibe, aber diese Aufmerksamkeit habe ich zu Hause nie bekommen. Ich habe geweint, um die Aufmerksamkeit meiner Eltern zu bekommen, aber das hat mein Bedürfnis nie wirklich gestillt. Auf einer Ebene fühlte es sich gut an, aber es hat mich nicht befriedigt. Also muss ich meine Bedürfnisse dramatisieren. Ich muss immer eine Szene machen. Ich kann mich nicht einfach entspannen.“ Die Lektion in der Kindheit war, dass „wer du warst, nicht gut genug war, um Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen“. Gewöhnlich zu sein bedeutete, allein zu sein. Manche entwickeln nach vielen Enttäuschungen sogar Borderline-Züge, entwickeln Angst vor dem Verlassenwerden, Impulsivität und Wut und entwickeln schließlich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und empfinden Hass gegenüber sich selbst oder haben sogar Selbstmordgedanken und -versuche. Um die narzisstische Illusion zu durchbrechen und zu einer echten Gegenseitigkeit mit der anderen Person zu gelangen, braucht es hingegen ein richtiges therapeutisches Arbeitsbündnis oder ein geeignetes unterstützendes Umfeld, um dies zu bewältigen. Der Mann muss die Angst vor der antizipatorischen Scham riskieren und an dem heilenden Standpunkt festhalten, von einem Mann als Mann gesehen zu werden, zusammen mit all seinen Ängsten und Schwächen. Erinnert euch an Brené Brown und Verwundbarkeit. Die Herausforderung besteht auch darin, den anderen Mann als eigenständige Person mit seinen eigenen Bedürfnissen und Schwächen zu sehen, eine Person, die sich auf derselben Ebene befindet wie ich. Außerdem möchte ich hinzufügen, dass die Heilung des Narzissmus selbst bzw. der narzisstischen Illusion, darin besteht, die Realität als solche zu sehen, nicht übertrieben oder untertrieben. Das ist sozusagen das, was wir vorhin darüber gesagt haben, „in der Mitte zu sein“.

Über Verzerrungen, Illusionen und Heilung

Waheed: Bis jetzt haben wir über Scham und Narzissmus gesprochen. Wie können wir also diese beiden Themen miteinander verbinden? Wir können das, indem wir uns anschauen, was die Psychologie als Illusionen und Verzerrungen bezeichnet. Was meinen wir mit diesen beiden Begriffen? Verzerrungen – das sind die schambesetzten Gedanken in unserem Kopf. Dabei kann es sich entweder um Gedanken, Wahrnehmungen oder Überzeugungen handeln, die uns durch die negativen Botschaften, die wir in unserer Kindheit vor allem von unseren Eltern und unserer Umwelt empfangen haben, eingeimpft wurden. Du kannst dir diese Verzerrungen im Grunde als die negativen Selbstgespräche, Scham und Wertlosigkeit vorstellen. Lasst uns ein Beispiel nennen. Ich rufe beispielsweise einen Freund an, der nicht ans Telefon geht, und das mache ich eine ganze Weile lang. Ich rufe die Person immer wieder an, aber sie geht nicht ran. Vielleicht hat die Person gerade ein Problem. Vielleicht gibt es einen Unfall. Vielleicht gibt es Umstände. Oder vielleicht ist sie beschäftigt. Oder vielleicht will sie auch einfach nicht antworten, weil sie Zeit für sich haben will – was auch immer der Grund sein mag. Aber wie verinnerliche ich diese Botschaft? Ich gehe davon aus, dass ich zurückgewiesen werde. Ich werde ignoriert. „Sie wird mich einfach verlassen, so wie es die anderen mit mir gemacht haben.“ Ich fühle mich inkompetent. Ich fühle mich wertlos. All diese Selbstgespräche drehen sich also darum, dass ich ein Versager bin, dass ich fehlerhaft bin, dass ich nichts richtig mache.

Fares: Das ruft irgendwie Scham hervor, oder? Dieser Moment.

Waheed: Ja, natürlich. Klar. Und dann fange ich an, mich selbst anzugreifen. „Ja, sie hat recht. Ich sollte ignoriert werden. Ich werde nie geliebt werden. Was ist das alles überhaupt wert“, und so weiter und so fort. Das ist also ein Beispiel für diese Verzerrungen. Auf der anderen Seite gibt es auch Illusionen. Wenn wir an Illusionen denken, dann sind das im Grunde Gedanken, die auf den narzisstischen Zügen beruhen, über die wir gesprochen haben. Das können Gedanken, Überzeugungen oder Wahrnehmungen sein, aber sie sind unrealistisch positiv und dienen dazu, uns gegen die negativen Botschaften zu verteidigen. Es sind also Illusionen. Um noch einmal auf das Beispiel zurückzukommen, in dem du deinen Freund anrufst und er sich eine Weile nicht meldet, was wäre dann die Illusion? „Weißt du was? Ich brauche das nicht. Ich bin sowieso viel besser als diese Person. Der Typ hat Glück, dass er mich als Freund hat. Das ist sein Pech. Ich werde bessere Leute finden. Ich werde nicht einmal auf seine Anrufe reagieren, wenn er mich zurückruft. Er sollte es besser wissen, als mich zu ignorieren.“ Du siehst also den Unterschied zwischen dem Denken in Verzerrungen und dem Denken in Illusionen. Das eine basiert auf Scham, das andere auf Narzissmus. Aber was ist es dann, wenn nicht Verzerrungen oder Illusionen, was sonst? Es ist die Realität. Es geht darum, die Realität so zu akzeptieren, wie sie ist. Das ist der notwendige Bezugspunkt, von dem aus wir die Illusionen und Verzerrungen beurteilen können. Wenn wir also an Scham und Narzissmus denken, dann sind das die beiden Extreme, zwischen denen wir schwanken: Scham und Narzissmus. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Und wenn du darüber nachdenkst: Wo es Narzissmus gibt, gibt es auch Scham, und wo es Scham gibt, gibt es Narzissmus. Und für viele Männer ist homosexuelles Verhalten ein Schutz vor der Scham, die sie wegen ihres Gefühls der männlichen Unterlegenheit empfinden, dem Minderwertigkeitskomplex, über den wir in der letzten Folge gesprochen haben. Und woher kommen diese Illusionen und Verzerrungen? Auch sie haben ihren Ursprung in einem frühkindlichen Trauma. Wie gesagt, es geht nicht darum, die Person dafür zu beschämen, dass sie sie hat, natürlich nicht. Wir haben sie sowieso, aber warum? Es ist eine Überlebenstaktik. Sie wird vom Verstand erzeugt, wenn wir das Gefühl haben, dass wir in einer Beziehung mit einem Elternteil bleiben müssen, der meine Erwartungen als Kind nicht erfüllt hat. Für den Mann oder die Frau, der/die diesen tiefgreifenden Bindungsverlust erlebt hat, stellen diese Illusionen und Verzerrungen sozusagen meine Weigerung dar, der Realität ins Auge zu blicken, wie schlimm es als Kind wirklich war. Auch heute noch, wenn dieses Kind erwachsen ist, wünscht sich der Mann oder die Frau, dass andere in seinem oder ihrem Leben dieses „gute Elternteil“ sind – dass sie mich lieben, dass sie mich annehmen, dass sie mich unterstützen, usw. Und gleichzeitig halte ich immer an der Vorahnung fest, dass sich diese Menschen leider als „schlechtes Elternteil“ erweisen werden. Sie werden mich beschämen/herabsetzen, sie werden sich von mir distanzieren, sie werden mich missbrauchen, usw.

Fares: Und deshalb sehen wir auch in der schwulen Gemeinschaft diese Art Suche nach dem „Vatertyp“, also einige Leute wollen, dass der Vater in ihrem Leben präsent ist, daher suchen sie die Vaterfigur. Aber letztendlich scheitern sie wieder.

Waheed: Es gibt leider eine Menge Enttäuschungen. Wie gehen wir mit alledem um? Wir gehen damit um, indem wir unsere traumatische Vergangenheit aufarbeiten, die dazu geführt hat, dass wir diese Illusionen und Verzerrungen entwickelt haben. Denn diese Illusionen und Verzerrungen sind eine Art Projektion auf unsere Beziehungen zu anderen Menschen. Wie du schon sagtest, Fares, du hast über Projektionen gesprochen und darüber, dass wir die Botschaften, die wir in unserer Kindheit empfangen haben bzw. die Bilder unserer Eltern oder anderer Menschen, die uns verletzt haben, auf andere projizieren. Und wie Nicolosi sagt:

Das einzige Gegenmittel gegen dieses Scham-Narzissmus-Pendel ist die Akzeptanz der Realität. Und das erfordert eine tiefe Demut.

Demütig sein. Demut bedeutet, „die eigenen Grenzen realistisch zu akzeptieren und auf das Bedürfnis zu verzichten, sich selbst oder andere Menschen entweder über- oder unterzubewerten“. Akzeptiere die Realität einfach als das, was sie ist. „Demut befreit die Person von dem Vertieftsein in sich selbst und ermöglicht es uns, uns auf unsere eigenen und die authentischen Bedürfnisse anderer zu konzentrieren.“

Fares: Ja, und ich möchte noch hinzufügen: Auch wenn die Realität selbst schmerzhaft ist, müssen wir [in ihr] bleiben und diesen Schmerz spüren, um uns weiterzuentwickeln oder zu wachsen. Aber wenn wir versuchen, diesen Schmerz zu überspringen, liegt darin das Problem. Wir entwickeln dann wieder diese narzisstischen Züge.

Waheed: Auf jeden Fall, ja. Und wenn wir in unserer islamischen Tradition, im Qur’an und in der Sunna nachsehen, finden wir viele Verse im Qur’an und viele Ahadith des Propheten ﷺ, die von Demut handeln. So sagt Allah zum Beispiel in Sure Hud, Vers 23:

Gewiss, diejenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun und sich vor ihrem Herrn demütigen, das sind die Insassen des (Paradies)gartens. Ewig werden sie darin bleiben.

Qur’an, 11:23.

Möge Allah uns zu ihnen machen, inshaAllah4. In Vers 63 der Sure al-Furqan sagt Allah: „Die Diener des Allerbarmers sind diejenigen, die maßvoll auf der Erde umhergehen“ – was in diesem Zusammenhang „in Demut“ bedeutet – „und die, wenn die Toren sie ansprechen, sagen: ,Frieden!’“ Wiederum viele, viele Ahadith des Propheten ﷺ, wie ein Hadith in Sahih al-Bukhari:

Soll ich euch nicht von den Gefährten des Paradieses erzählen? Sie sind jeder bescheidene Mensch, der als schwach gilt, aber wenn er einen Eid bei Allah ablegen würden, würde er erfüllt werden. Soll ich euch nicht von den Gefährten des Höllenfeuers erzählen? Sie sind jeder raue, hochmütige und arrogante Mensch.

Sahih al-Bukhari

Beispielsweise ein weiterer Hadith in Sahih Muslim:

Wohltätigkeit vermindert den Reichtum nicht. Niemand gibt, außer dass Allah seine Ehre erhöht, und niemand erniedrigt sich um Allahs willen, außer dass Allah seinen Status erhöht.

Sahih Muslim

Fares: Um auf das Thema SSA und seinen Zusammenhang mit Narzissmus zurückzukommen: Für mich sind gleichgeschlechtliche Fantasien und Inszenierungen wie das Trinken von Meerwasser. Richtig, Wasser. Es scheint wie Wasser. Aber nachdem ich es gekostet habe, wird mein Durst nie gestillt. Der Narzisst wird nie befriedigt, wie Dr. Nicolosi schon sagte. Eine Möglichkeit, narzisstische Illusionen zu heilen, besteht darin, die Wahrheit zuzugeben, dass wir narzisstische Züge haben. Egal, wie sehr wir sie leugnen, sie existieren. Und um sie zu überwinden, müssen wir Demut erfahren und unser eigenes Selbstbild und unseren Selbstmangel zuerst Gott überlassen, nicht einem anderen Mann auf sexuelle Weise. Es gibt einen Vers im Qur’an, der mich daran erinnert, dass dieses Leben vorübergehend ist – es ist nicht ewig. In Sure Yunus, Vers 45, erwähnt Allah:

Und an dem Tag, da Er sie versammelt, wird (ihnen) sein, als ob sie nur eine Stunde vom Tag verweilt hätten, und sie erkennen einander wieder. Verloren sind dann diejenigen, die die Begegnung mit Allah für Lüge erklärten und nicht rechtgeleitet waren.

Qur’an, 10:45.

Unser ganzes Leben ist nur wie eine Stunde im Vergleich zum Jenseits. Eine Stunde von 24 Stunden. Kannst du dir das vorstellen? Der Qur’an erwähnt, dass die Freude in diesem Leben vorübergehend ist. Sie kann nicht für immer bleiben. Sieh dir doch an, wie die Menschen jetzt wegen des Corona-Virus in Panik leben. Das Leben verändert sich ständig, aber es wird nie perfekt für uns sein. Deshalb müssen wir unseren Wünschen [Begierden] gegenüber demütig sein, sie akzeptieren und tolerieren, denn wir sehen sie als vorübergehende Gefühle in unserem Leben und nicht als Dauerzustand. Auch wenn sie häufig vorkommen, sind sie schwach und kurz und werden sich früher oder später auflösen. Und selbst wenn ich mit einem Dauerzustand von SSA lebe, weiß ich, dass dieses Leben kurz ist und letztendlich ein Ende hat. Es lohnt sich nicht, sie für einen so kleinen Teil meiner ewigen Existenz auszuleben. Für einige von uns mag das schwer sein, und ich weiß das, denn ich habe das auch schon durchgemacht. Aber wie im Qur’an erwähnt, sagt Allah (swt) in Sure al-‘Asr, Vers 3: „Wa-tawaasaw bi-l-haqqi wa-tawaasaw bi-l-sabr“ [vgl. Und ermahnt einander zur Wahrheit und ermahnt einander zur Geduld]. Deshalb wird uns befohlen, unsere Moral abzugleichen [mit dem Islam, d. h. zu prüfen, ob sie noch übereinstimmt] und uns gegenseitig zu Geduld und Rechtschaffenheit zu verpflichten, bis wir das Jenseits erreichen, inshaAllah. Ich will dir sagen, was Richard Cohen mir eines Tages geschrieben hat. Er schrieb: „Gib niemals auf“, egal wie schwer es uns gleichzeitig zu fallen scheint, uns zu ergeben und zu Gott zu gehen. Egal, wie sehr wir uns im Leben niedergeschlagen und frustriert fühlen, wir werden gemeinsam das sicherste Ufer im Jenseits erreichen, fernab von Narzissmus, Scham und Verlust. Gemeinsam ins Paradies, inshaAllah.

Waheed: InshaAllah, ya Rabb [O Herr]! Amin. Gemeinsam. Alle zusammen, inshaAllah. Das hast du sehr schön gesagt. Und je mehr wir uns all diese Konzepte, über die wir gesprochen haben, bewusst machen und die Denkmuster erkennen, die wir haben – jegliche narzisstischen Manipulationen, die wir planen, und die auf Scham basierenden, selbstzerstörerischen Verhaltensweisen, die wir haben -, desto mehr weichen wir allmählich einer größeren Toleranz gegenüber den schmerzhaften Themen des Lebens, oder? Diese Anpassung an die Realität wird nicht nur durch unsere Beziehung zu, sagen wir, einem Therapeuten oder einem Hilfsnetz erreicht, sondern auch dadurch, dass wir andere Menschen zunehmend als echte Menschen mit ihren eigenen Bedürfnissen, mit ihren Höhen und Tiefen wahrnehmen. Das ist, was wir authentischen menschlichen Kontakt nennen. Es geht darum, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie mein Verhalten andere Menschen beeinflusst. Es bedeutet, meinen Platz in der Welt zu erkennen. Es bedeutet, die Position anderer Menschen, ihre Bedürfnisse und ihre Probleme zu erkennen. So verschiebt sich meine Perspektive vom Selbstschutz zur Empathie. Und die Heilung von Scham und Narzissmus erreichen wir dadurch, dass wir uns selbst und anderen Menschen gegenüber mitfühlender sind, indem wir anderen Menschen gegenüber authentisch sind und authentisch mit ihnen in Beziehung treten. Ich kann es nicht oft genug betonen: Es geht darum, verwundbar zu sein, wie gesagt, Folge 3. Verwundbar zu sein, offen zu sein, authentisch zu sein, andere Menschen als eigenständige Persönlichkeiten zu sehen, als Leute. Das hilft dabei, meine egozentrischen Erwartungen, die ich auf andere projiziere, zu reduzieren – die Fähigkeit, die Realität so zu erleben, wie sie gerade ist, andere Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, für das, was sie mir geben können oder auch nicht – und damit einverstanden zu sein. Das ist sehr wichtig.

Fares: Ja, und vor allem in Bezug auf die Eltern, vor allem in Bezug auf die Menschen, die uns nahe stehen. Manchmal können wir sie nicht ändern und müssen nur uns selbst ändern, denn es ist wirklich, wirklich, wirklich ein großer Teil der Therapie, dass wir andere so akzeptieren, wie sie sind.

Waheed: Auf jeden Fall, ja. Und erinnerst du dich daran, dass wir vorhin gesagt haben, dass viele Männer und Frauen das Bild des schlechten oder guten Elternteils auf andere projizieren und das bei anderen Menschen suchen? Was in diesem Fall hilft, ist, diese ungelösten Probleme mit einer anderen Person zu klären. Das kann ein Therapeut, ein aufmerksamer, vertrauenswürdiger Freund oder ein Hilfsnetz sein. Die andere Person muss offen und vertrauenswürdig sein, sie muss herausragend sein und die nötige Reife besitzen, um damit umzugehen. Die andere Person wird weder die ideale Person sein, die alle Antworten hat und alles besser macht, noch die böse Person, von der ich erwarte, dass sie jeden Moment explodieren wird. Wenn ich mir also diese Beweggründe, meine Gedanken und die dahinter liegenden Bedürfnisse bewusst mache, ist es ganz natürlich, dass die Reaktion eines Mannes oder einer Frau mit SSA was ist? Scham. Wenn ich mir all das bewusst mache, werde ich mich noch mehr schämen. „Du hast Recht. Ich kann jetzt verstehen, dass ich nie normal sein werde. Jetzt kann ich den Narzissmus als das erkennen, was er ist. Oh mein Gott, ich sehe jetzt, dass sie [diese Verzerrungen und Illusionen] für mich existieren müssen. Wenn ich jemanden sozusagen zu meinem Objekt des Narzissmus mache, fange ich an, diese Person zu verzehren. Das zerstört die Menschen. Es zerstört mich“. Zurück zu dem Beispiel, in dem man einen Freund anruft. „Ich rief einen Freund an, und während er mit mir sprach und ich mit ihm, konnte ich im Hintergrund hören, dass er das Spiel im Fernsehen anschaute – ein Baseballspiel oder was auch immer – und ich konnte spüren, dass er abgelenkt war. Er schenkte mir nicht seine Aufmerksamkeit. Er hörte mir nur teilweise zu und ich spürte, wie ich beleidigt wurde. Ich machte daraus ein großes Drama. Eigentlich streute er damit Salz in meine Wunde“. Jetzt wird aber der Person klar: „Natürlich kann ich nicht erwarten, dass die Leute mir gegenüber aufgeschlossen sind, wann immer ich es will“. In diesem Beispiel hören wir also diese auf Scham basierende Selbstverachtung. Sobald sich die Person ihrer narzisstischen Bedürfnisse bewusst wird, schämt sie sich noch mehr. Eine andere Art zu reagieren wäre, dass die Person, sobald sie diese Gedankenmuster erkennt, ins andere Extrem geht, nämlich in Wut: „Wie kannst du es wagen, mir etwas über meine Beweggründe zu erzählen? Wie kannst du es wagen, mich all dessen zu beschuldigen?“ Das ist also ein normaler Teil des Wachstums, eine normale Reaktion auf all diese Dinge. Und diese Dinge brauchen Zeit. Aber was wir erreichen wollen, ist der Weg der Heilung, des Authentisch-Seins und des Wachstums. Das braucht also Zeit und Geduld. Das wollen wir damit sagen.

Fares: Genau. Und um zu vermeiden, dass diese Abwehr und Scham verstärkt werden, ist es wichtig, die Selbstkritik des Mannes durch Selbstmitgefühl zu ersetzen, indem man den Narzissmus in die persönliche Geschichte des Mannes einbettet.Wir zeigen ein mitfühlendes Verständnis für das ursprüngliche Bedürfnis des Mannes, narzisstische Manöver zu entwickeln, um die Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen, die er braucht. Ein erfahrener Therapeut oder jemand, der Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen hat, kann diese Illusionen und Denkmuster durchschauen und dabei vermeiden, die Person zu beschämen. Dies wird erreicht, indem man die historische [d. h. die in seiner persönlichen Geschichte verankerte] Notwendigkeit für seine illusorische Schöpfung aufzeigt. Indem man die Notwendigkeit seiner narzisstischen Abwehr in der Kindheit hervorhebt, wird die Schamreaktion des Mannes auf diese Enthüllung gemindert. Hebe die Abwehrmechanismen behutsam hervor und benenne sie, wenn sie auftauchen, während du dem Mann die Freiheit lässt, die Kommentare zu akzeptieren oder abzulehnen. Eine Möglichkeit, dies anzusprechen, ist zum Beispiel, dass du als Kind deine authentischen Bedürfnisse nicht direkt ausdrücken konntest und deshalb gelernt hast, dies durch Manipulation, Aufmerksamkeitssuche usw. zu tun. Da du dich vernachlässigt und nicht anerkannt gefühlt hast, glaubst du, dass Soundso dich ignoriert, obwohl er das in Wirklichkeit nicht tut. Wir gehen damit mit Mitgefühl und Toleranz um. Angesichts der Tatsache, wie ignoriert du dich als Junge gefühlt hast, ist es verständlich, dass du deinen Freund manipulierst, um besondere Aufmerksamkeit zu bekommen. Da dein Vater dir wenig Aufmerksamkeit schenkte, kann ich verstehen, dass du hoffst, diese andere Person würde dich total lieben und total akzeptieren, um das unbefriedigte Bedürfnis zu stillen. Hier greift die Person oder der Therapeut ein, um das Selbstmitgefühl zu modellieren, das die Selbstkritik ersetzen muss. Der Mann muss die Existenz seiner narzisstischen Verhaltensweisen vorerst akzeptieren, während er daran arbeitet, echte Authentizität bei anderen Männern zu entwickeln. Der Therapeut oder die Person zeigt abgestimmtes Mitgefühl für den Mann, während er daran arbeitet, gegenseitige, realistische und reifere Freundschaften zu entwickeln. Ein Mann könnte sagen: „Wenn ich die Aufmerksamkeit dieser besonderen Männer bekam, war ich nur für kurze Zeit zufrieden, weil ich wusste, dass ich sie dazu gedrängt und manipuliert hatte. Aber wenn ich sie loslasse und ihnen erlaube, auf ihre eigene Art und Weise und zu ihrer eigenen Zeit Interesse an mir zu zeigen, dann fühlt sich das großartig und wirklich bestätigend an“. In dem Maße, wie der Mann in der Fähigkeit wächst, andere Menschen realistisch zu sehen, wächst auch die Akzeptanz seiner selbst mit all seinen menschlichen Unzulänglichkeiten.

Homosexualität als Wiederholungszwang

Waheed: Sprechen wir nun darüber, was in der Psychologie damit gemeint ist, dass Homosexualität ein Wiederholungszwang ist. In der psychoanalytischen Theorie wird der Wiederholungszwang als die ständige Wiederherstellung eines vergangenen traumatischen Ereignisses definiert. Wir spielen das in unseren Köpfen nach. Durch das symbolische Nachstellen dieser traumatischen Situation versucht die Person unbewusst, den endgültigen Sieg in dieser Situation zu erringen und die wesentliche Verletzung von damals zu lösen. Mit anderen Worten: Die Person stellt im Jetzt die traumatische Situation nach, in der sie sich als Versager gefühlt hat, in der Hoffnung, dass das Ergebnis dieses Mal besser sein wird. Um dies zu verstehen, enthält der Wiederholungszwang drei Elemente. Er ist ein Versuch der Selbstbeherrschung, eine Form der Selbstbestrafung und eine Vermeidung des zugrunde liegenden Konflikts. Wir wollen nun versuchen, jedes dieser drei Elemente zu erklären. Wenn du dich an Folge 7 erinnerst, haben wir gesagt, dass ein Mann mit gleichgeschlechtlichen Anziehungskräften versucht, die unerfüllten emotionalen Bedürfnisse wiederherzustellen, die er vom gleichen Geschlecht braucht, nämlich Aufmerksamkeit, Zuneigung und Anerkennung. Und heutzutage kommen noch andere hinzu, wie Akzeptanz, Zugehörigkeit, Resonanz und weitere – also im Grunde diese wichtigen emotionalen Bedürfnisse, die wir vom gleichen Geschlecht benötigen. Und wir versuchen, die Defizite bei der Geschlechtsidentifikation durch homoerotisches Verhalten auszugleichen. Für viele Männer mit gleichgeschlechtlicher Anziehung ist das Streben nach Erfüllung und emotionaler Intimität durch gleichgeschlechtliches Verhalten ein Versuch, den Kreislauf zu durchbrechen, mit dem sie vertraut sind – dass jeder Versuch, sich selbst zu behaupten, ein männlich-identifiziertes Individuum zu sein, authentisch und echt zu sein, scheitern wird. Und es wird zu Demütigungen führen, weil wir diese Botschaften verinnerlicht haben. Anstatt mich also meiner Vergangenheit zu stellen, anstatt mich meinem Schmerz zu stellen, ziehe ich es vor, das Ganze noch einmal zu durchleben, in der Hoffnung, dass ich dieses Mal, anders als bei jeder anderen vergangenen Gelegenheit, endlich bekomme, was ich will. „Mit diesem Mann werde ich endlich die männliche Kraft für mich finden. Und dieses Mal werden all diese nagenden Gefühle und das quälende Gefühl der Leere endlich verschwinden.“ So interpretiert der Verstand das. Auf einer Ebene ist der Wiederholungszwang also ein gesunder Wiederherstellungstrieb. Es ist im Grunde genommen meine Eigeninitiative, mit der ich versuche, einen Sieg über meine früheren erniedrigenden oder verletzenden Erfahrungen zu erringen. Aber da dies ein Produkt meiner Illusionen und der Scham ist, mit denen ich agiere, wird dieser Wiederholungszwang scheitern. Er wird scheitern, denn jeder Versuch, diese frühen Bindungsverluste durch erotische Inszenierung und sexuelles Ausleben zu lösen, wird nicht funktionieren. Soweit also der Versuch, sich selbst zu beherrschen. Was ist mit dem zweiten Element, dass es eine Form der Selbstbestrafung ist?

Fares: Hinter dem Drang nach gleichgeschlechtlichen Kontakten steckt Scham, die ein Gefühl von Unwürdigkeit und Unliebenswürdigkeit mit sich bringt. Das führt unweigerlich zu Wut auf die Scham, die sich gegen das eigene Selbst richtet, und zu dem verzweifelten Gefühl, dass das Leben niemals besser werden wird. Hier können wir uns an die Dynamik in der Kindheit erinnern, die bereits angesprochen wurde, an die Familiendynamik. Jemand könnte sagen: „Wenn ich Sex mit einem Mann habe, ist es mir egal, was passiert. Ich weiß, dass ich mich danach hassen werde, aber das ist mir egal. Ich befinde mich in einem selbstzerstörerischen Modus.“ Der selbstzerstörerische, selbstbestrafende Aspekt des Wiederholungszwangs ist eine Folge der schambedingten Verzerrungen, der falschen negativen Überzeugung, dass „ich diese Scham/Schande irgendwie verdienen muss“. Das verzehrt schließlich die emotionalen Ressourcen des Mannes. Er bleibt in diesem Zwang stecken, weil er die Verletzung durch diejenigen, die ihn enttäuscht haben, nicht überwunden hat. Vielmehr hält er den Beschämenden am Leben, indem er sich dem Missbrauch durch einen weiteren Beschämenden aussetzt. Natürlich tut er dies in der Illusion, dass er dieses Mal tatsächlich geliebt und bestärkt wird, und bekommt so seine „Ehrenrettung“. Doch indem er einen anderen Mann zu seinem Objekt der Ehrenrettung macht, gibt er einer weiteren Person die Macht, ihn abzulehnen, zu beschämen und ihm das Gefühl zu geben, wertlos zu sein. Aber er glaubt wirklich, dass es nur um diesen einen neuen Mann in der Gegenwart geht. Wenn das Szenario, das Scham erzeugt, immer wieder durchgespielt wird, bestärkt das nur die Überzeugung, dass er wirklich ein hoffnungsloses Opfer und letztlich der Liebe nicht würdig ist. Nur so am Rande: Der Akt der Sodomie ist an sich schon masochistisch. Analverkehr als Verstoß gegen unseren Körperbau ist ungesund und anatomisch zerstörerisch, da er das Rektum beschädigt und Krankheiten verbreitet, weil das Rektumgewebe gebrechlich und durchlässig ist. Außerdem demütigt und erniedrigt der Akt die Würde und Männlichkeit eines Mannes.

Waheed: Ja, genau. Und wir werden inshaAllah in der zweiten Staffel mehr über die gesundheitlichen Aspekte dieses Themas sprechen.

Fares: Ich gebe Waheed jetzt die Chance, über die Vermeidung von unterschwelligen Konflikten zu sprechen, über die Abwehr von Kummer.

Waheed: Das ist also das dritte Element des Wiederholungszwangs. Der zugrundeliegende Konflikt ist die Abwehr von Trauer. Was meinen wir damit? Es gibt zwei gegensätzliche Aspekte des Wiederholungszwangs: die Wiederholung der Verzerrung, dass die Person Scham verdient, und die Wiederholung der Illusion, dass sie dieses Mal die Scham bewältigen wird. Diese beiden gegensätzlichen Aspekte wehren den Mann gegen den Kummer ab, dass „meine Eltern mich emotional verlassen haben“. Ein Kind, dessen Eltern seine tiefsten Bedürfnisse nicht erfüllt haben, muss sich dagegen wehren, die schreckliche Realität anzuerkennen und wirklich zu spüren, wie schlimm es war. Das haben wir uns immer wieder gesagt. Diese Wiederholung des inneren Dramas hindert mich also daran, den Verlust dessen zu betrauern, was zuvor verleugnet wurde. Im Grunde genommen ist der Wiederholungszwang eine Weigerung zu trauern. Ich trauere nicht um das, was mir widerfahren ist. Ich habe das Recht zu trauern, aber ich tue es nicht, weil es schmerzhaft ist. Also muss ich einen anderen Weg finden, das zu überwinden. Zwanghaftes sexuelles Ausleben mit seiner „Hochdramatik“ und dem Versprechen auf Befriedigung ist gut geeignet, um die Erinnerungen an die Verlassenheit in der Kindheit zu bekämpfen. „Wenn ich diesen Mann nur dazu bringen kann, dass ich mich [durch ihn] besser fühle.“ Diese Selbstgespräche lenken mich von der wahren Tragödie meiner Kindheit ab, nämlich dem quälenden Gefühl der Leere, das ich verspüre. Scham ist in diesem Fall ein zweischneidiges Schwert, denn sie schneidet mich von mir selbst und von anderen ab. Das beschämte Selbst, das ich habe, glaubt, dass es fehlerhaft, unbedeutend und wertlos ist. Und als eine Form der Wiedergutmachung scheint jede Art von sexuellem Verhalten – sei es zwanghafte Masturbation, Pornografie oder sogar schwuler Sex – eine Erleichterung von all diesen negativen Selbstgesprächen und der negativen Selbsteinschätzung zu sein. Warum? Weil ich versucht habe, die männliche Aufmerksamkeit, die Bewunderung und die Bestätigung zu bekommen. Er bietet mir das Versprechen auf Wiedergutmachung – den Wiederherstellungstrieb, wie wir sagten – meiner erschöpften Männlichkeit. Es gibt mir dieses Gefühl von intimem Kontakt und beruhigt mich, dass diese Person mir diese Intimität schenkt, anstatt mich zu entfremden oder zu beschämen – eine Art besondere Aufmerksamkeit, die sehr, sehr kurzlebig ist, und auf die unweigerlich ein Kreislauf weiterer Scham folgt. So wird es zu einem Teufelskreis, der sich selbst nährt.

Über Abhängigkeit und Suchtverhalten

Fares: Damit komme ich zu einem anderen Thema, nämlich der Sucht. Es hängt auch mit dem Thema SSA zusammen: Viele Männer mit SSA nehmen Drogen, Alkohol, sind pornosüchtig, masturbieren exzessiv oder haben zwanghafte sexuelle Kontakte. Sie sind nicht in der Lage, ihre innere Qual zu regulieren. Sie entscheiden sich für stimmungsverändernde Mittel als vergnügliche, schnelle Alternative zur Aufgabe der inneren Selbstkontrolle. Für viele Männer besteht die unbewusste Hoffnung, dass gleichgeschlechtliche erotische Kontakte den Frieden und das Glück einer sicheren elterlichen Bindung wiedergeben. Ein Mann sagte: „Ich möchte im Schoß eines großen Mannes sitzen und nie wieder aufwachen.“ Drogen, Alkohol, Pornos und Sex bieten unmittelbare Erleichterung von schambedingten Ängsten. Drogenmissbrauch und sexuelle Promiskuität bieten vorübergehende Erleichterung bei emotionaler Leere, persönlicher Unzulänglichkeit und chronischer Depression. All dies dient dazu, die Person von ihrer grundlegenden Unfähigkeit abzulenken, authentische emotionale Bindungen aufzubauen. In Erwartung tief empfundener Verzweiflung und in dem Gefühl, in emotionaler Isolation gefangen und in seiner Fähigkeit gehemmt zu sein, mit anderen authentisch in Beziehung zu treten, fühlt sich der Mann mit SSA oft besiegt, verletzt und im Stich gelassen. Und das führt zu manischen Abwehrmechanismen, einschließlich des homosexuellen Akts, dem viele religiöse Männer mit SSA am liebsten widerstehen würden. Ein Mann sagte:

Ich bin so daran gewöhnt, meine Traurigkeit mit sexueller Erregung zu überdecken, dass ich, wenn ich traurig bin, weiß, dass die Erregung gleich um die Ecke ist. Ich masturbiere, seit ich ein Kind bin. Ich mache es dreimal am Tag, um mich nicht wie ein Verlierer zu fühlen und um nicht schwach oder traurig zu sein.

Die Grauzone scheint gefühlsmäßig ein toter Zustand zu sein, aber darunter verbirgt sich tiefe Verzweiflung. Und in diesem Sinne ist die Grauzone ein Pseudo-Trauerzustand.

Waheed: Richtig. Und über das Thema Grauzone werden wir inshaAllah in Folge 11 ausführlicher sprechen. Aber kurz gesagt: Wir alle kennen die Grauzone. Das ist im Grunde der Zustand, in dem wir uns entmutigt, machtlos, enttäuscht, einsam und schwach fühlen, stimmt’s? Und ernüchtert, ja. Diese Gefühle treten meist auf, wenn… wann fühlen wir uns so? Wenn eine wichtige Person in unserem Leben unsere Erwartungen nicht erfüllt. Es könnte zum Beispiel als „Verletzung meiner Würde“ empfunden werden. Oder wenn ich von einer anderen Person, mit der ich zu kommunizieren versuche, ignoriert werde. Oder wenn ich von meiner Mutter- oder Vaterfigur enttäuscht werde. Oder wenn mich eine andere Person in meinem Leben enttäuscht oder verletzt oder etwas gesagt hat oder einen bestimmten Gesichtsausdruck oder einen bestimmten Tonfall hatte… irgendetwas, das ich als verletzend oder negativ empfinde. Das Ergebnis ist, dass sich die Scham in mir auftut und erwacht. Und ich fühle mich unzulänglich, enttäuscht und gedemütigt, manchmal sogar wertlos. Und dann bin ich vielleicht wütend auf mich selbst, wütend auf die andere Person, und genau in diesem Moment – DAS ist die Grauzone. In solchen Momenten kommt die homosexuelle Anziehung am ehesten zum Vorschein. Warum? Weil wir eine Art gleichgeschlechtliche Handlung suchen, um unser Selbstbewusstsein wiederherzustellen. „Ich möchte durchsetzungsfähig [selbstbewusst/bestimmt] sein, aber der einzige Weg, das zu erreichen, ist, mich sexuell auszuleben, egal auf welche Weise.“ Das bringt eine große Erregung und ein Gefühl der Befreiung mit sich, das rebellisch ist. Und es ist das Gegenteil von dem enttäuschten Zustand, in dem ich mich in der Grauzone befand. Nicolosi sagt, dass der symbolische Kontakt mit dem idealisierten Männerbild – mit anderen Worten: das projizierte idealisierte Selbst durch gleichgeschlechtliche Handlungen – sein erschöpftes Selbstwertgefühl vorübergehend wiederherstellte. Viele Männer mit SSA werden also nicht nur von der sexuellen Befreiung süchtig – denn sie macht süchtig; sie hat diesen Dopaminschub und all diese wunderbaren Hormone und ist sehr befriedigend – aber nicht nur dieser Teil macht süchtig, sondern auch der zwanghafte Zyklus wird zur Sucht. Der Sexualtrieb dominiert das Leben der Person – wenn nicht durch das Verhalten, so doch durch das Vertieftsein in das Thema, die Fantasie und die Tagträume und all das. Was wir damit sagen wollen, ist, dass diese zwanghafte Hyperaktivität und der Drang nach Ablenkung und Unterhaltung, egal ob es sich um Sex, Essen oder Substanzen handelt, das emotionale Ungleichgewicht, das wir empfinden, nicht lange aufheben wird. Nach der Umsetzung wird es immer ein Gefühl des Ungleichgewichts geben, ein Gefühl der Unausgeglichenheit. Das wird immer wiederkommen.

Fares: Ja. Und leider ist es auch so, dass sie ihren Ärger und ihre Wut in Form von sexuellen Problemen wie Masochismus und Sadismus auszudrücken versuchen. Und manchmal versuchen sie, ihre Wut gegenüber engen Sexualpartnern oder manchmal gegenüber ihren eigenen Familienmitgliedern auszudrücken. Aber in der Regel drücken sie ihre Wut gegenüber ihren andersgeschlechtlichen Freunden nicht aus und halten diese Wut sozusagen in ihnen gefangen. Dadurch wird der Kreislauf aus Scham, Angst und Wut in ihnen noch verstärkt, und wenn sie das nicht bemerken, endet das natürlich mit einer Inszenierung.

Über homosexuelle Beziehungen und psychische Gesundheit

Waheed: Auf jeden Fall. Lass uns jetzt über homosexuelle Beziehungen im Lichte all dessen, worüber wir bisher gesprochen haben, reden.

Fares: Jeder von uns, Männer und Frauen gleichermaßen, wird von der „Macht der romantischen Liebe“ angetrieben. Diese Verliebtheit gewinnt ihre „Macht“ aus dem unbewussten Drang, ein vollständiger Mensch zu werden. Bei Menschen mit heterosexuellen Neigungen ist es der Drang, die männlich-weibliche Polarität durch die Sehnsucht nach „dem Anderen als ich“ zusammenzuführen. Bei Menschen mit homosexuellen Neigungen hingegen ist es der Versuch, ein Defizit in der Vollständigkeit des eigenen ursprünglichen Geschlechts auszugleichen. Zwei Männer können sich nie ganz und offen in sich aufnehmen. Es gibt nicht nur eine natürliche anatomische Untauglichkeit, sondern auch eine inhärente psychologische Unzulänglichkeit. Beide Partner kommen mit dem gleichen Defizit zusammen. Jeder versucht, symbolisch und sexuell die Erfüllung seines Geschlechts in der anderen Person zu finden, aber auch die andere Person ist in dieser Hinsicht nicht vollständig. So endet die Beziehung in Desillusionierung. Viele, viele Beziehungen sind gekennzeichnet durch Schuldzuweisungen, Reizbarkeit, das Gefühl, erdrückt zu werden, klammerndes Verhalten und Abhängigkeitsprobleme. Abgrenzungs- und Machtkämpfe sind sehr häufig. Besitzdenken und Dominanz, Langeweile, Desillusionierung, emotionaler Rückzug und Untreue. Viele gleichgeschlechtliche Beziehungen sind typischerweise kurz und sehr sprunghaft, mit viel Streit, Auseinandersetzungen, Versöhnung und ständigen Enttäuschungen. Sie können die Form intensiver Romanzen annehmen, in denen die Anziehung in erster Linie sexuell bleibt, von Verliebtheit geprägt ist und sich nie zu einer großen, reifen Liebe entwickelt. Oder sie lassen sich in langfristigen Freundschaften nieder, während sie gleichzeitig Affären haben. Die Forschung zeigt jedoch, dass sie fast nie die reifen Elemente von ruhiger Beständigkeit, Vertrauen, gegenseitiger Abhängigkeit und sexueller Treue aufweisen, die für eine gut funktionierende heterosexuelle Ehe charakteristisch sind. Damit sollen gleichgeschlechtliche Freundschaften nicht abgetan werden. In dem Maße, in dem es Freundschaft gibt, gibt es auch Liebe, aber es ist Liebe, die sich auf Freundschaft beschränkt. Im Islam gibt es viel über die Bedeutung der Gefährtenschaft zwischen Mann und Mann sowie Frau und Frau und suhba zu sagen. In den Beziehungen von Männern zu anderen Männern geht es häufig darum, Fehler zu finden, Ungerechtigkeiten zu sammeln und Groll anzuhäufen. Sie neigen dazu, ihre Feindseligkeit indirekt, verdeckt und hinterhältig auszudrücken, sie für sich zu behalten und in der Situation unangemessen auszurasten oder zu explodieren. Hinter dieser Feindseligkeit steckt natürlich auch Angst. Aggression zu sexualisieren ist eine Abwehr, eine Art, sich zu unterwerfen und doch zu siegen. Manchmal gibt es eine Tendenz, einen gefürchteten oder gehassten Mann zu sexualisieren oder zu lieben, um dem Wettbewerb zu entgehen. Ein heranwachsender Junge kann zum Beispiel eine sexuelle Beziehung mit dem Anführer einer Gruppe Gleichrangiger eingehen und Sex nutzen, um einen gefürchteten Mann zu beherrschen.

Waheed: Genau, ja. Und wenn wir versuchen, all das im Zusammenhang mit der Familiendynamik und den Loslösungskonzepten zu erklären, die wir in Folge 7 erklärt bzw. vorgestellt haben… Also noch einmal: Als Folge des Gefühls der Ablehnung durch den Vater in seiner Kindheit sowie der Abwehr der Loslösung von der Männlichkeit hat der Mann mit SSA als Erwachsener ein Gefühl der Schwäche und Inkompetenz in Bezug auf männliche Eigenschaften wie Macht, Durchsetzungsvermögen und Stärke. Er fühlt sich zu diesen Merkmalen wie Stärke hingezogen, weil er unbewusst nach seiner eigenen Männlichkeit strebt. Dadurch versucht er, seine eigene Männlichkeit zu erreichen. Und gleichzeitig ist er aufgrund der verletzenden Erfahrungen mit seinem Vater oder mit Gleichaltrigen misstrauisch gegenüber Männern, die Macht haben – diejenigen, die die Eigenschaften aufweisen, die er sich selbst wünscht. Wir können den homosexuellen Kontakt also wie eine Art Brücke sehen. Es ist eine sexualisierte erotische Brücke, um Zugang zu dieser besonderen Männerwelt zu bekommen. Es ist ein Weg, um männliche Akzeptanz zu finden, nicht etwa durch persönliche Stärke, sondern es ist, als ob ich diese erotische Kraft stellvertretend erlebe. Da der Mann mit homosexuellen Neigungen besonders dazu neigt, Beziehungen zu Männern unter dem Aspekt der Macht zu sehen, kommt es manchmal zu einer Überkompensation des Machtstrebens. Das können wir zum Beispiel besonders in der Geschäftswelt beobachten, wenn ein Mann im geschäftlichen Bereich arbeitet und versucht, sein privates Gefühl der Unzulänglichkeit zu kompensieren, indem er hart arbeitet. Oder aus Angst vor Abhängigkeit oder Ausbeutung durch andere Männer „muss ich mich beweisen, ich muss noch härter arbeiten“. Und das lässt sich auf so viele andere Beispiele anwenden. Wenn wir all diese Konzepte, über die wir heute gesprochen haben, miteinander verbinden, wird es uns also nicht überraschen, dass es in der Welt der schwulen Männer ein hohes Maß an Promiskuität gibt, und das ist dokumentiert. Viele Männer berichten, dass sie häufig anonymen Sex oder sogar Sexting mit Fremden haben, dass sie viele Sexualpartner im Laufe ihres Lebens haben und dass nur eine Minderheit in der Lage ist, Treue und Monogamie in ihren gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu wahren. Und falls ihr euch erinnert, haben wir in Folge 5 auch die hohe Anzahl psychischer Probleme angesprochen, die bei Menschen, die sich als Teil von LGBT identifizieren, in hohem Prozentsatz vorkommen. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass es einen hohen Anteil an Depressionen und Angstzuständen, Persönlichkeitsstörungen (insbesondere Borderline-Persönlichkeitsstörungen), Stimmungsstörungen, Selbstmordgedanken und -versuchen, Drogenmissbrauch usw. gibt. Das wurde bereits in Folge 5 angesprochen. Einige Studien haben gezeigt, dass bipolare Störungen (Typ 1 oder Typ 2), ADHS und Borderline-Persönlichkeitsstörungen häufig zusammen auftreten. Wie du schon sagtest, Fares, wird dies manchmal als vulnerabler Narzissmus fehldiagnostiziert, ebenso wie andere Arten von Persönlichkeitsstörungen wie paranoide, vermeidende, abhängige oder histrionische Persönlichkeitsstörungen. Und es ist sehr wichtig, diese Dinge zu wissen, denn diese psychischen Störungen oder Eigenschaften können die Therapie für Menschen, die verzweifelt nach Hilfe durch eine reparative oder reintegrative Therapie oder jede Art von Therapie für ihre ungewollten gleichgeschlechtlichen Anziehungen suchen, zu einer Herausforderung machen. Manchmal können diese psychischen Probleme die Therapie dieser süchtigen Verhaltensweisen – die homosexuellen Verhaltensweisen – noch erschweren. Wenn wir das, worüber wir bisher gesprochen haben, mit den Problemen in der Kindheit und der Familiendynamik zusammenbringen, können wir anfangen zu verstehen, woher diese psychischen Probleme kommen und wie sie weiter angeheizt werden.

Fares: Ja, das stimmt. Ich sehe das wie ein Puzzle, Waheed. Ich muss jedes einzelne Teil sammeln, um ein vollständiges Bild zu bekommen und zu wissen, wie ich später damit umgehen kann. Es gibt mehrere Schichten von Problemen, die die wachsende männliche Identität, den Verlust des Vaters, die Aufmerksamkeit und Zuneigung, die Anerkennung, die Akzeptanz, die Zugehörigkeit und Resonanz und die übermäßige Bindung an die Mutter, die Scham, das Mobbing, die emotionale Verlassenheit und den Schmerz, die Abwehrmechanismen, die Probleme mit dem Schamgefühl und die defensive Loslösung umfassen. Und einige von uns erlebten Taubheit oder verleugnete Teile [davon]. Und schließlich das glückliche falsche Selbst, das all diese und andere Probleme überdeckt. Es erfordert also eine Menge Anstrengung und es ist wirklich ein fortlaufender Prozess, der Tag für Tag stattfindet. Gleichzeitig sollte es aber kein Prozess sein, in dem man sich selbst überfordert und jedes Detail seiner Vergangenheit aufdeckt. Es gibt jedoch einige Schlüsselelemente, die für die Überwindung dieser psychischen Probleme entscheidend sind. Um auf den Wiederholungszwang zurückzukommen, ist es daher wichtig, dem Mann mit SSA den Wiederholungszwang aufzuzeigen. Er muss die zugrundeliegenden Illusionen und Verzerrungen erkennen. Wenn er sich den Illusionen und Verzerrungen stellt und sie versteht, kann er sich mit den elterlichen Einschränkungen und den frühen Bindungsverlusten auseinandersetzen, um trauern zu können. Wenn die selbstzerstörerischen Verhaltensweisen eines Mannes ihn zu einer Konfrontation mit der Realität führen, ist er am ehesten bereit, sich den Verlusten seiner Vergangenheit zu stellen. Was er dabei oft entdeckt, ist ein tiefes Gefühl der Leere und Traurigkeit. Diese Entdeckung markiert den Beginn einer produktiven Trauerarbeit.

Waheed: Auf jeden Fall, und wir werden in Folge 11 mehr über Trauerarbeit sprechen. Aber um es kurz zu sagen, geht es bei der Trauerarbeit vor allem darum, die schmerzhaften Momente zu verarbeiten. Wenn ich zum Beispiel auf die Erinnerungen an den Vater zurückblicke, haben wir gefragt: „Warum trauere ich?“ Ich trauere um die fehlende Verbindung zu Männern. Okay, aber was verursacht eine solche Trennung zwischen mir und anderen Männern? „Ich denke an Papa“, könnte jemand sagen. „Papa ist ein toller Mann, aber er ist nicht gut darin, sich emotional zu binden. Er spricht nicht über Gefühle. Ich hätte ihm gerne mein Herz ausgeschüttet und er hätte mir zugehört und bestätigt, dass er mich gehört und verstanden hat, aber Papa verschließt sich. Er schläft ein, wenn das Thema aufkommt.“ Und wenn es zum Beispiel ein Geschwisterkind gibt, merkt meine Schwester das auch. Sie denkt, das liegt daran, dass er kein Interesse an ihr hat. Sie irrt sich. Es ist eine Einschränkung meines Vaters, und wir alle trauern um diese Einschränkung. Und dann würde die Person sagen: „Nun, ich trauere um diesen Mangel.“ Aber wenn ich versuche, die Trauer zu vermeiden, kommt sie in allem, was ich tue, falsch zum Vorschein. Wenn ich mich weigere, die Trauer zu fühlen, wenn ich in Scham verfalle, wenn ich phantasiere, masturbiere, mir Pornos anschaue oder was auch immer, mache ich mir nur noch mehr Vorwürfe. Scham führt zu Depressionen und Depressionen führen zu sexuellen Handlungen, die wiederum zu einem stärkeren Gefühl der Trennung von anderen Männern führen, und so geht der Kreislauf immer weiter. Nicolosi sagt dazu:

Homosexuelle Handlungen sind in der Tat sehr überzeugend. Sie bieten eine radikale Veränderung des erschöpften Gefühlszustands und heben den Mann aus der Depression in einen Höhepunkt intensiver, viszeraler Erregung. Mit seiner Macht, das innere Ungleichgewicht zu managen, lenken sie von wichtigeren, tiefer liegenden Problemen ab, insbesondere von der gesunden Entwicklungsherausforderung, zu lernen, das wahre geschlechtliche Selbst zu behaupten.

Wie können wir also diesen Wiederholungszwang lösen, Fares?

Den Wiederholungszwang auflösen

Fares: Wir können sagen, dass Männer im Laufe der Therapie und Unterstützung oft erkennen, dass ihre Wiederholung emotionaler Konflikte durch das starke Bedürfnis motiviert wird, die Dinge so zu belassen, wie sie sind, selbst wenn die Dinge, wie sie sind, in Wirklichkeit selbstzerstörerisch sind. Es gibt eine gesündere Alternative zu ihren unbefriedigenden Inszenierungen. Anstatt das traumatische Scheitern zu wiederholen, können sie heilende Beziehungen entwickeln, die ihnen die Chance bieten, jetzt im Erwachsenenalter das zu tun, was sie als Kinder nicht tun konnten: nämlich ihren Verlust anzuerkennen und wirklich zu trauern. Ich kann auch eine Sache sagen, an die ich mich gerade erinnere: Es gibt einige therapeutische Methoden, die auch für die Trauer verwendet werden, dass du natürlich diese Momente, diese Scham-Momente, wieder durchlebst und vor der Selbsthilfegruppe zu trauern beginnst. Und jeder kann eine Rolle spielen – wir können sagen, ein Rollenspiel. Und das ist auch eine sehr hilfreiche Methode für Menschen, um ihre Vergangenheit zu betrauern. Wenn ein Mann sich der Tatsache stellt, dass seine unerwünschten Verhaltensweisen tatsächlich ein Wiederholungszwang sind, wird er mit der Realität konfrontiert, dass Glück und Erfüllung niemals von einem anderen Menschen importiert werden können, wie Jalaluddin Rumi sagte: „Du trägst mehr Liebe in dir, als du jemals verstehen könntest.“ Das eröffnet dem Mann die Möglichkeit, die notwendige Trauerarbeit zu leisten und die traumatische Realität zu akzeptieren, dass seine Eltern ihn nie gesehen haben. Ein Mann, der in einem sich wiederholenden Kreislauf sexueller Handlungen gefangen war, gab in Bezug auf die schmerzhafte emotionale Arbeit der Therapie zu, dass es tatsächlich besser war, in einem endlosen Kreislauf von Fantasien über andere Männer gefangen zu sein. „Ich würde lieber weinen“, sagte er, „als weiter zu masturbieren.“ Es gibt einen Versuch, männliche Verbundenheit auf eine selbstzerstörerische Weise zu erlangen, die Männer davor schützt, tiefe Trauer zu empfinden. Durch gleichgeschlechtliche erotische Kontakte versuchen sie, das starke und ganz normale menschliche Bedürfnis zu befriedigen, von anderen Männern gekannt und geliebt zu werden. Hinter dem homosexuellen Verhalten steht ein gesundes Bedürfnis nach authentischer Bindung. Für sie besteht die Herausforderung darin, den Traum aufzugeben, einen anderen Mann zu finden, der ihnen die Männlichkeit gibt, die ihnen selbst fehlt. Stattdessen müssen sie die männliche Bestätigung auf realistische Weise annehmen, durch Gegenseitigkeit, nicht durch Idealisierung.

Waheed: Wie wir schon sagten, gibt es also ein Hochgefühl bei dieser falschen Vitalität und Überschreitung, das Männer typischerweise empfinden, wenn sie sich auf Sex mit anderen Männern einlassen. Aber sie wissen auch, dass das fehlangepasst [nicht geeignet] für sie ist. Dieses Verhalten ist sehr zwanghaft. Es ist stereotypisch, es wiederholt sich und es ist, wie wir schon sagten, ein unproduktiver Versuch, den Konflikt in uns zu lösen. Meistens besteht dieser Konflikt zwischen Liebe und Angst. Er hat mit Erinnerungen an den Vater, an Gleichaltrige und an unsere Kindheit im Allgemeinen zu tun. Der gleichgeschlechtliche Trieb ist also ein Versuch, sich mit was zu verbinden? Mit unserem eigenen freien, ausdrucksstarken und spontanen geschlechtlichen Selbst – also mit dem wahren Selbst, das in uns gefangen ist. Die Absicht des Triebs ist, wie gesagt, reparativ [wiederherstellend], denn das Ziel dahinter ist, unser Geschlecht zu bestätigen, uns selbst zu bestätigen. Der Mann strebt danach, von anderen Männern als attraktiver Mann gesehen zu werden, und das ist ein normales Bestreben. Aber das Verhalten löst den ursprünglichen Konflikt nicht. Es verursacht sogar noch mehr Leid, wenn wir uns sexuell ausleben. Was wir damit sagen wollen, ist, dass es eine Tatkraft gibt, sich durchzusetzen, und dass es eine andere Tatkraft gibt, sich homosexuell zu verhalten. Bei beiden hat man das Gefühl, lebendig zu sein, aber die Vitalität und Lebendigkeit, wenn es um Selbstbehauptung geht, ist tiefgründig. Sie ist beziehungsorientiert. Sie ist lang anhaltend. Sie ist emotional transformativ. Sie ist gesund. Die Energie des homosexuellen Akts ist zwar intensiv, aber oberflächlich, kurzlebig und nicht in dem Sinne lohnend, wie wir es uns wünschen. Eine gesunde Selbstbehauptung bildet also die Grundlage für unsere authentischen Beziehungen und unsere direkte Kommunikation. Es ist ein positives adaptives Mittel, um neue Wege der Beziehung zu anderen zu lernen, und es beinhaltet Absicht und Verantwortung. Du bist ruhig und du bist positiv. Du lernst, für dich selbst und das, woran du glaubst, einzustehen, du selbst zu sein, dein wahres Ich zu sein, echt und authentisch zu sein. Wie gesagt, Folge 3: verwundbar sein, richtig? Diese durchsetzungsfähigen Verhaltensweisen helfen dabei, unsere männlichen Identifikationsbedürfnisse zu befriedigen, und sie bringen den Mann dazu, zwischenmenschliche Konflikte zu meistern, vor allem solche, die immer wieder in der Interaktion mit anderen Männern auftreten. Manche Männer, deren Durchsetzungsvermögen und Aufrichtigkeit gewachsen ist, entscheiden sich dafür, eine schwule Identität anzunehmen und diesen Lebensstil zu leben. Und das kann passieren. Aber andere werden sich für die entgegengesetzte Richtung entscheiden, was wir hoffentlich erreichen werden, inshaAllah. Als Muslime mit gleichgeschlechtlichen Anziehungskräften sind wir fest entschlossen, uns nicht mit anderen Männern zu vergnügen, um diese Echtheit und Authentizität zu erreichen, und ein Leben zu führen, das mit Allah und dem Islam im Einklang ist, inshaAllah.

Fares: InshaAllah.

Schlussbemerkungen

Waheed: Und damit sind wir am Ende der heutigen Folge angelangt. Ich möchte mich ganz herzlich bei meinem lieben Freund Fares bedanken, der mich heute als Co-Moderator begleitet hat. Vielen Dank, Fares, jazakum Allahu khayran [ möge Allah euch mit Gutem belohnen], dass du heute mit dabei gewesen bist. Es ist wirklich eine Freude, dich dabei zu haben, und ich hoffe sehr, dass du auch in späteren Folgen in späteren Staffeln mit dabei sein kannst, inshaAllah. Du warst bei der Planung dieser Folge und in der Folge selbst als Co-Moderator überragend! Jazak Allahu khayran. Vielen Dank, dass du dabei warst. Hast du am Ende der heutigen Folge noch eine letzte Botschaft für die Zuhörer?

Fares: Ich möchte etwas erwähnen, das ich in Ägypten von meinem Psychiater gelernt habe, als ich das erste Mal in die Gruppe kam. Er sagte zu mir: „Sei echt und fühle, um zu heilen.“5

Waheed: Jazak Allahu khayran. Das ist ein schöner Ratschlag, der im Grunde die ganze Folge zusammenfasst, nicht? Sei einfach echt, um zu fühlen, und sei einfach so, wie du bist. Fühle dein echtes, wahres Selbst. Das ist, worum es uns geht, inshaAllah. Ich möchte diese Folge mit folgendem Zitat von Brené Brown abschließen:

Unsere Geschichte anzuehmen, kann schwer sein, aber nicht annähernd so schwer wie unser Leben damit zu verbringen, davor wegzulaufen. Unsere Verwundbarkeit anzunehmen ist riskant, aber nicht annähernd so gefährlich, wie auf Liebe, Zugehörigkeit und Freude zu verzichten – die Erfahrungen, die uns am verwundbarsten machen. Nur wenn wir mutig genug sind, die Dunkelheit zu erforschen, werden wir die unendliche Kraft unseres Lichts entdecken.

Vielen Dank, dass du dir diese Folge angehört hast. Zur Erinnerung: Du kannst uns jederzeit eine E-Mail an awaybeyondtherainbow@gmail.com schicken, und du kannst alle unsere Folgen auf unserer Website http://awaybeyondtherainbow.buzzsprout.com anhören. Du kannst uns auch über die Podcast-Apps wie Google Podcast, Apple Podcasts, Spotify, Stitcher, iHeart Radio und TuneIn Radio hören. In der nächsten Folge werden wir inshaAllah über weibliche gleichgeschlechtliche Anziehungen sprechen. Die ganze Folge ist unseren wunderbaren Schwestern gewidmet, die damit zu kämpfen haben. Und sie ist auch sehr wichtig für Männer und Frauen, die mit gleichgeschlechtlichen Anziehungskräften zu kämpfen haben oder es nicht tun. Es ist eine sehr wichtige Folge für uns alle, inshaAllah. Bis zum nächsten Freitag wünsche ich euch eine wunderbare Woche. Seid vorsichtig, bleibt gesund und wir sehen uns bald wieder. Du hast dir „A Way Beyond the Rainbow“ mit Waheed Jensen und Fares angehört. Assalamu ‘alaikum wa rahmatullahi wa barakatuh.

  1. d. h. eine Beziehung zu jemandem/sich verbunden mit jdn. fühlen
  2. Anmerkung ITV: Hier sind mit „Genesenden“ Menschen gemeint, die sich von ihren SSA „erholen“ bzw. lernen, damit umzugehen oder sich komplett von ihnen zu lösen.
  3. Anmerkung ITV: Als Psychoedukation wird die Aufklärung von Patienten und Angehörigen über physische und psychische Erkrankungen bezeichnet.
  4. Anmerkung ITV: Amin! Man soll ja bei einem Du’a für bekanntlich kein inshaAllah sagen.😬
  5. Anmerkung ITV: Im englischen Original reimt sich das, vgl. “Be real and feel in order to heal.”

Kommentare (2)

    • Nur

    • vor 3 Monaten

    As selamun aleykum,
    als Person, die alhamdulillah nicht die Prüfung mit SSA hatte, habe ich trotzdem so unglaublich viel für mich, meine Kinder, meine Familie und meine Mitmenschen aus diesem Text gelernt. Unglaubliche Arbeit, dass all das übersetzt wurde – möge Allah euch für diese krasse Arbeit belohnen! Ich habe noch nie im Internet so lange Texte gelesen, ohne aufhören können zu lesen, wie diese. Vielen Herzlichen Dank für die Übersetzung und auch den beiden Moderatoren, die dieses Thema so tiefsinnig behandeln – genau das wird gebraucht.

    Mit besten Grüßen

    Nur

      • Ibn Thabit Verlag

      • vor 3 Monaten

      Wa aleyykumu salam wa rahamtullahi wa barakatuhu,

      möge Allah deinen Rang und deine Stufe bei Ihm für dieses liebe und aufmerksame Kommentar erhöhen, ebenso für die Tatsache, dass du dich mit diesem zunehmend wichtigen Thema fisabilillah auseinandersetzt und diese Zeit darin investierst!

      Allerliebste Grüße

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