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Anmerkung zum Transkript

Das folgende Transkript wurde von uns auf das Wesentliche gekürzt und etwaige Stellen, die den Lesefluss behindern könnten (wie längere Denkpausen, „Ähm’s“, Versprecher usw.), oder auch Interaktion mit dem Publikum, die nicht zum wesentlichen Punkt dieses Vortrags beiträgt, wurden weggelassen. Außerdem wurden vereinzelte Sätze von uns umgestellt oder um Worte ergänzt, um den Lesefluss weiter zu vereinfachen und einen sinnhaften Kontext herzustellen. Ferner wurde das Transkript von uns in mehrere, in sich abgeschlossene Teile zerlegt, um es als Fließtext besser „verdauen“ und ggf. den Nachdruck in und die Schwere der Worte nachempfinden zu können.

Heute werden wir über Gaza und „das Problem des Bösen“ reden. Wir könnten darüber im philosophischen Sinne reden, aber um ehrlich zu sein habe ich genug von Philosophie. Ich habe 10 Jahre damit verbracht, sie zu studieren, und es ist reine Zeitverschwendung – ganz ehrlich. Ich habe drei weiterführende Studienabschlüsse in Philosophie und bin gerade dabei, meinen Doktor zu machen. Viele würden sagen: „Oh, seht her, ich bin intelligent!“, aber je mehr Philosophie ich studiere, desto klarer wird mir, dass Philosophen dumm sind. Denn wenn sie klug wären, würden sie sich Allah (swt) unterwerfen – ganz einfach. Weil, wenn man darüber nachdenkt, was genau wir in unserer post-säkularen Kultur getan haben, dann haben wir im Grunde das Herz vom علم (‘ilm; Wissen) entfernt; das Herz aus dem intellektuellen Diskurs. Wir denken, dass Menschen wie KI-Maschinen sind, die nur aus Eingabe und Ausgabe bestehen. Aber der Mensch ist nicht so. Menschen sind – vor allem aus kognitionspsychologischer Sicht – keine abstrakten intellektuellen Wesen. Sie sind keine Roboter, in die man eine Art intellektuellen Algorithmus oder Code eingibt und dann bestimmte Ergebnisse erwartet. Sogar die heutige Kognitionswissenschaft erkennt an, dass es psycho-emotionale Antriebskräfte gibt, die uns dazu treiben, einer bestimmten Doktrin bzw. einem bestimmten intellektuellen Diskurs zu folgen. Und das steht so stark im Einklang mit dem دين (din; Religion) Allahs (swt), nicht wahr? Denn Allah (swt) spricht über den intellektuellen spirituellen Ort, nämlich? Das قلب (qalb), das Herz. Und das Herz macht تقلب (taqalub), es schwankt. Und das Herz hat Krankheiten wie كبر (kibr) und عجب (‘ujub), Arroganz und Selbstverliebtheit, und رياء (riya), Prahlerei, Angeberei, und حسد (hasad), tadelnswerter Neid. Und das qalb hat فتن (fitan), hat Strapazen (Prüfungen/Versuchungen), شبهات (shubuhat), zerstörerische Zweifel und شهوات (shahawat), tadelnswerte Begierden. Interessanterweise ist der عقل (‘aql), der Intellekt, nach Ansicht der meisten علماء (‘ulama; Gelehrten) eine Funktion des qalb. Der ‘aql ist also kein abstraktes Ding, wo man einfach einen Code oder intellektuellen Algorithmus eingibt, sondern er ist eine Funktion des qalb, Und das qalb macht taqalub, das Herz schwankt. Es ist krank und hat fitan. Und egal, wie viel (Wissen/Gedankenfutter) man dem Intellekt gibt – wenn das qalb krank ist, wird er (der Intellekt) nicht richtig funktionieren. Ich wollte das Thema also eigentlich aus einer philosophischen Perspektive beleuchten, aber wenn man es herunterbricht, geht es wirklich um das qalb. Es geht um etwas, das über den abstrakten Verstand hinausgeht. Denn wenn wir das Böse für ein Problem halten, liegt das im Grunde daran, dass wir die Realität nicht richtig verstanden haben. Nicht nur die Realität, wie sie ist, sondern die Realität Allahs (swt), Seine Namen und Eigenschaften und Sein Wesen.

Doch bevor ich darauf eingehe, möchte ich ein wenig über die Geschehnisse in Gaza sprechen, die, um ehrlich zu sein, ziemlich erschreckend sind. Es ist erschreckend und ich bin irgendwie immer noch völlig schockiert, dass wir im 21. Jahrhundert nach so vielen Katastrophen, so vielen verschiedenen Arten von Völkermord – dem Völkermord in Ruanda, dem Völkermord in Bosnien und dem Völkermord an den Juden in Nazi-Deutschland – immer noch keine Lektion gelernt haben. Es ist schockierend, dass wir immer noch nicht… Es gibt eine Art moralisches und spirituelles Unwohlsein, unter dem wir als menschliches Wesen, als menschliches Kollektiv, leiden. Und jetzt streamen wir live einen Völkermord. Ich weiß nicht, wie irgendjemand die Bilder überhaupt noch mit ansehen kann. Ich wende mich davon ab, weil es schlecht für die فطرة (fitrah; natürliche Veranlagung) ist. Es ist schlecht für jemanden, der möglicherweise Probleme mit seiner Wut hat oder emotional wird, weil es einen absolut wahnsinnig machen kann. Ich habe zum Beispiel ein Bild gesehen, auf dem zwei zerquetschte Kinder und ein herausgefallener Augapfel abgebildet waren, ich meine –– wie kann man so etwas überhaupt tolerieren? Aus menschlicher Sicht, aus islamischer Sicht? Es ist absolut schockierend und wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein, dass diese Dinge uns nicht desensibilisieren. Und wenn sie anfangen, dich zu desensibilisieren, dann schau weg. Schau weg.

Laut dem Euro-Med Monitor haben wir seit dem 23. Februar bis heute, Samstag, dem 11. Mai – also die Zahlen sind wahrscheinlich höher – etwa 40 000 Tote, 40 000 unschuldige Menschen. Darunter etwa 15 000 Kinder. 2 Millionen Menschen wurden vertrieben. 2 Millionen Menschen. 100 000 Häuser wurden komplett zerstört. 170 Pressezentren und 400 Schulen beschädigt. 320 Gesundheitsfachkräfte wurden getötet. Und wir haben etwa 3120 Gefangene oder gewaltsam Verschwundene. Und es gibt noch viel mehr, über das wir reden könnten, aber das wäre nur eine Spielerei mit Zahlen. Denn manchmal sind Zahlen einfach sehr abstrakt. Sie treffen nicht wirklich das Herz.

Und wenn es um Gaza und das Problem des Bösen geht, stellen die Menschen manchmal die Frage, warum Allah all dieses Leid zulässt. Und ich denke, Gaza bzw. das Volk Gazas hat uns eine Lektion erteilt. Denn seht euch an, wie das Volk Gazas reagiert hat. Seht euch an, wie sie auf ihre Katastrophe reagiert haben. Haben sie sich von Allah (swt) abgewandt? Oder haben sie sich Allah (swt) zugewandt? Wir haben es alle gesehen. Live.

Viele von uns beklagen sich darüber, dass sie ihren Job verloren haben, dass sie kein großes Haus haben, dass sie Probleme mit ihrer Wut haben oder dass es zu Hause Probleme gibt und sich das auf ihren إيمان (iman; Glaube) auswirkt. Natürlich hat jeder seinen eigenen Kontext, aber das Volk Gazas hat auf einen Genozid reagiert. Sie haben darauf reagiert, dass sie ihre Familienmitglieder verloren haben. Sie haben darauf reagiert, ihre Kinder lebendig verbrannt zu sehen. Sie haben darauf reagiert, Teile ihrer Kinder in Säcken zu sehen. Genau genommen haben sie darauf reagiert, Teile ihrer Kinder einzusammeln und in Säcke zu stecken, und zwar auf eine Art und Weise, die – man könnte meinen – der Reaktion der أنبياء (anbiya; Propheten) sehr nahe kommt: Es hat ihren iman gestärkt. Es hat ihren iman gestärkt und sie sagen: „Allah genügt uns“.

Wie können wir es also WAGEN… wie können wir es wagen, auch nur zu erwägen, auch nur zu denken, auch nur anzudeuten, auch nur uns selbst zuzuflüstern, dass es ja „ach so viel Böses auf der Welt gibt – wo ist Allah!?“ –– wenn die Menschen, die tatsächlich leiden, NICHT so reagieren!? Schande über uns! Das ist in der Tat eines der stärksten Beispiele gegen jeden, der Allah (swt) ablehnt, indem er sagt: „Es gibt so viel Böses auf der Welt! Wo ist denn Gott!?“ –– du stehst diesem Bösen doch nicht einmal gegenüber! Diejenigen, die diesem ungeheuren Bösen, der Folter, der Unterdrückung und dem Völkermord gegenüberstehen, für sie verstärkt das nur ihren iman, und das zeigt was? Es zeigt, dass sie etwas in sich haben, das es ihnen ermöglicht, das Böse so zu verstehen, dass sie das Böse und das Leid überwinden können.

Und ehrlich, denkt einmal aus einer psychokognitiven, emotionalen Perspektive darüber nach: Viele Verse im Qur’an zielen darauf ab, dich kognitiv und spirituell neu auszurichten. Und ich würde behaupten, der Grund, warum wir dieses Problem haben, dass es „so viel Böses auf der Welt gibt“, ist, dass wir nicht mit dem Buch Allahs (swt) verbunden sind. Punkt. Es kann gar nicht anders sein. Jeder, der das Buch Allahs wirklich liest, wird kein Problem mit dem Bösen haben. Das ist einfach eine Tatsache, bei allem Respekt. Was ich mit „lesen“ meine, ist تدبر (tadabbur; Nachdenken, Reflektieren) zu machen, das Buch Allahs wirklich zu verstehen. Ich meine damit nicht das bloße Aufsagen der Phonetik, der Laute. Versteht mich nicht falsch – auch das das hat seinen Platz, es ist eine Verherrlichung Allahs, es ist ein Lobpreis Allahs. Das verstehe ich und man bekommt Lohn dafür. Aber was ist der مقصد (maqsad; Sinn/Zweck), was ist das Ziel des Qur’an? Er soll dich rechtleiten. Und eine der Belange, für die wir Rechtleitung benötigen, ist, wie wir auf Leid und Böses reagieren sollen. Der Qur’an richtet uns kognitiv und spirituell neu aus, das Böse so zu verstehen, dass wir das Böse überwinden können. Denn was tut der Qur’an? Der Qur’an sagt uns im Grunde: Erwäge die Möglichkeit, dass die Bedeutung, die du dem Bösen und dem Leid gibst, egal wie intensiv es ist, nicht die einzige Bedeutung ist. Erwäge die Möglichkeit, dass die Bedeutung, die du dem Bösen und dem Leid geben solltest, die Bedeutung ist, die Allah und Sein Gesandter möchten, dass du ihnen gibst. Und wenn du das tust, kannst du dein Leid auf gewisse Weise überwinden. Du bist in der Lage, dein Leid auf gewisse Weise zu überwinden.

Schaut mal liebe Geschwister, wer war der barmherzigste Mensch auf diesem Planeten? Der Prophet ﷺ. Eigentlich mag ich das Wort Barmherzigkeit überhaupt nicht mehr, es ist eine schlechte Übersetzung. Ich bin kein Sprachwissenschaftler und will hier nicht arrogant klingen, aber ich denke, dass es eine schlechte Übersetzung ist. Weil wenn man an رحمة (rahma) denkt, bedeutet das nicht nur Barmherzigkeit, denn es kommt von der Wortwurzel für „Mutterleib“. Die Mutter ist nicht nur barmherzig zu ihrem Kind. Die Mutter hat eine liebevolle Barmherzigkeit. Sie hat diese überquellende Zuneigung, bevor sie das Kind überhaupt kennengelernt und empfangen hat, bevor sie dem Kind überhaupt einen Namen gegeben hat. Und wir kennen den Hadith des Propheten ﷺ, dass Allah mehr Zuneigung für dich hat als eine Mutter für ihr Kind. Und in der englischen Sprache – ich weiß, dass es im Arabischen einen Unterschied gibt, weil sie semantisch etwas verarmt ist, und dass es keinen Spiegel zwischen dem Englischen und dem Arabischen gibt – aber in der englischen Sprache ist es gut, die Worte „loving mercy“ [liebende Barmherzigkeit] zu benutzen, weil es diese Art von Intensität verdeutlicht. Wenn wir also sagen, dass الرحمن (Ar-Rahman) der Barmherzigste ist, dann trifft das für mich nicht ganz zu, weil es sprachlich und theologisch am besten ist, es als „liebende Barmherzigkeit“ zu beschreiben, weil das der Realität Allahs (swt) näher kommt. So wie Al-Ghazali, der Theologe aus dem 11. Jahrhundert und „Beweis des Islams“1, als er über Allahs Namen und Eigenschaften sprach, er davon sprach, dass Allah الودود (Al-Wadud), der Liebevollste/am meisten Liebende ist, dass Er eine perfekte Form der Liebe hat, eine maximale Form der Liebe, so spricht er auch über Allahs anderen Namen, Ar-Rahman, und er sagt, dass es eine Ähnlichkeit zwischen beiden gibt. Er argumentiert, dass der Unterschied, dass Allah Ar-Rahman und Al-Wadud ist, im Grunde genommen eine Frage der Unterwerfung und der Macht ist. Wir müssen nicht näher darauf eingehen, aber der Punkt ist, dass ich denke, dass es besser ist, „der liebende Barmherzige“ zu sagen, besonders vom Wortstamm und der theologischen Perspektive her.

Der Prophet ﷺ ist und war also der liebevollste Mensch, der je auf diesem Planeten gelebt hat. Er hatte diese liebevolle Barmherzigkeit für alle Welten. Ist das klar? Okay. Wie viel Liebe und Barmherzigkeit hatte der Prophet ﷺ also für die Gläubigen? Kannst du einen Gläubigen mehr lieben als der Prophet ﷺ? Nein. Gut. Jetzt stellt euch die Liebe vor, die der Prophet ﷺ für seine eigenen Kinder hatte. Kannst du dein Kind so sehr lieben, wie der Prophet ﷺ sein Kind geliebt hat? Nein. Stellt euch also die Liebe vor, die er für Ibrahim hatte. Denn mit großer Liebe kommt großer Schmerz. Wenn jemand wirklich geliebt hat, weiß er das. Denn ein Großteil unserer heutigen Liebe ist sehr narzisstisch – wir lieben Menschen so, wie wir geliebt werden wollen. Aber das ist nur Narzissmus. Wahre Liebe bedeutet, bewusst und zielgerichtet zu sein und jemanden so zu lieben, wie er sich geliebt fühlt, was bedeutet, dass du demütig sein musst. Du kannst jemanden nicht wirklich lieben, wenn du ihm gegenüber nicht demütig bist, denn du musst demütig sein, um dein Ego herunterzuschrauben und zu sagen: „Vergiss mal, wie ich mich geliebt fühle – wie kann ich dafür sorgen, dass er/sie sich geliebt fühlt?“ Es könnte ganz anders sein als die Art und Weise, wie du dich geliebt fühlst, und das ist schmerzhaft. Das ist schmerzhaft. Wenn du noch keine Schmerzen hattest und denkst, dass du liebst, dann liebst du nicht wirklich, dann bist du wahrscheinlich ein Narzisst, oder du hast Wahnvorstellungen oder bist nur vernarrt.

Der Prophet ﷺ liebte seinen Sohn Ibrahim mehr als wir unsere eigenen Kinder lieben könnten, ja oder nein? Also stellt euch den Schmerz vor, den er hatte, als Ibrahim starb. Stellt euch den Schmerz vor. Ich möchte, dass ihr euch den Schmerz vorstellt, den er hatte, als sein Sohn Ibrahim starb. Möge Allah alle unsere Kinder beschützen, aber wenn unsere Kinder sterben würden, wären wir von Qualen geplagt. Deine Seele ist weg, Teile deiner Seele sind einfach für immer verschwunden. Nimm diesen Schmerz und multipliziere ihn mit einer fast unendlichen Menge. DAS ist der Schmerz des Propheten ﷺ. Und einige ‘ulama sagen, dass als Folge des Ablebens von Ibrahim seine Familie, seine Onkel, ihn als was beschimpften? Was war die Art Verleumdung bzw. Beschimpfung? الْأَبْتَرُ (al-Abatar; der Abgeschnittene), er ist abgeschnitten. Du hast keine Abstammung, denn die Abstammung erfolgt bei den Arabern ja über den Sohn, und das ist ein Gefühl von Stolz und Ehre und Erfüllung und Selbstidentität. Stellt euch also vor, dass er seinen toten Sohn im Arm hält, stellt euch die Liebe vor, die er für seinen Sohn empfand… und den Schmerz, den er jetzt empfindet, wenn er von seinen Familienmitgliedern und nahestehenden Menschen hört: „Du bist abgeschnitten“. Ich möchte, dass ihr euch den Schmerz vorstellt, denn mit großer Liebe kommt großer Schmerz. Und niemand kann so lieben wie der Prophet ﷺ. Niemand könnte so barmherzig sein, wie er es war. Niemand könnte ein Kind mehr lieben, als der Prophet ﷺ sein eigenes Kind liebte. Niemand. Also ist der Schmerz unermesslich, mehr als du dir vorstellen kannst.

Und wie spricht Allah den Propheten ﷺ an? Sagt Allah: „Es tut mir leid“? Sagt Allah, dass „die Zeit alles heilen wird“? Sagt Allah, dass „alles gut werden wird“? Sagt Allah, dass Er den Schmerz des Propheten ﷺ versteht? Was offenbart Allah laut einigen ‘ulama? Sure اَلْكَوْثَر‎ (al-Kauthar). Sure al-Kauthar‎ ist eine kognitive und spirituelle Neuausrichtung des Propheten ﷺ. „Wahrlich, Wir haben dir die Fülle gegeben“, den Fluss im Paradies, aber die ‘ulama sagen auch, dass damit „viele Dinge“ und „reichlich“ gemeint ist, und dass das و in اَلْكَوْثَر‎ grammatikalisch „anhaltende Fülle“ bedeutet. Es ist wie, wenn Allah sagt وَتَوَاصَوْا بِالْحَقِّ, ein anhaltender Ruf zur Wahrheit. Es ist nicht nur ein einmaliger Ruf zur Wahrheit, sondern ein ewiger, eine Fortsetzung. Allah sagt also: „Wahrlich, Wir haben dir die Fülle gegeben“,  فَصَلِّ لِرَبِّكَ وَانْحَرْ, „darum bete zu deinem رب (rabb; Herr) und opfere“, „derjenige, der dich hasst, ist in Wahrheit derjenige, der abgeschnitten ist.“ Wir werden jetzt nicht auf die sprachliche Betonung dieser Sure eingehen, die nachdrückliche Art und die Gewissheit, dass Allah dem Propheten ﷺ die Fülle gegeben hat. Der Punkt hier ist, dass dies den Propheten ﷺ kognitiv und spirituell in welchen Zustand versetzte? In einen Zustand der Dankbarkeit. Und wenn man sich in einem Zustand der Dankbarkeit befindet, ist es fast unmöglich, sich in einem anderen Zustand zu befinden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie der Qur’an den Propheten ﷺ und damit auch uns kognitiv und spirituell neu ausrichtet.

Denkt darüber nach, meine lieben Geschwister. Wenn wir Dankbarkeit aus der Sicht des Qur’ans verstehen würden –– vergesst mal diese post-säkulare, postmoderne New-Age-Sichtweise nach dem Motto „sEi DaNKbAr“ und „maCh aFFirMaTiONen“… halt die Klappe. Bei allem Respekt. Ich weiß nicht einmal, warum wir uns überhaupt daran orientieren, das ist totaler Unsinn, Unsinn auf Stelzen. Vieles davon ist ohnehin kapitalistisch-materialistisch ausgerichtet – dass wir diese vergänglichen Ziele erreichen sollen. Schauen wir uns die Realität an: das qur’anische Verständnis von Dankbarkeit. Ja, wir müssen dankbar sein für unsere Gesundheit, unseren Reichtum, unsere Familie, unsere Frau, unsere Frauen, unsere Kinder, unser Auto und so weiter und so fort. Aber Allah spricht von anderen Aspekten der Dankbarkeit, die grundlegenderer Natur sind und dir dabei helfen, deine gesamte Realität neu zu betrachten, was dir wiederum dabei helfen würde, dein Verständnis von „Böse“ und „Leid“ zu überdenken. Allah (swt) ist الخالق (Al-Khaliq), Er ist der Schöpfer. Allah (swt) hat uns erschaffen. Er erschafft jeden einzelnen bewussten Moment unserer Existenz – ja oder nein?

Bruder, wenn ich dir sagen würde, dass du noch 10 Minuten zu leben hättest, aber um noch 10 Tage zu bekommen, du mir dein ganzes Vermögen geben müsstest, was würdest du tun? (* Der Bruder antwortet: „Dir mein ganzes Vermögen geben.“ *) Bruder, du würdest mir nicht dein ganzes Vermögen geben, sei ehrlich. Du würdest das Vermögen deines Freundes, deiner Mutter und deines Vaters nehmen und du würdest –– es geht hier um’s Leben, Bruder. Das ist ein unbezahlbares Geschenk.

Bei wem ist jemand kürzlich verstorben? (* Ein Bruder meldet sich *) Möge Allah ihm جَنَّاتُ الْفِرْ‌دَوْسِ (Jannat-ul-Firdaws; die höchste Stufe im Paradies) gewähren. Ich werde nicht zu sehr nachhaken, ich will dich nicht vor den Kopf stoßen, mein lieber Bruder. Aber wenn du hypothetisch all dein Vermögen in Goldmünzen nehmen und es deinem nahestehenden Verstorbenen in den Mund stecken könntest, damit er nur für eine Minute zurückkommt, würdest du es tun? (* Der Bruder nickt offensichtlich *)

(* Hamza wendet sich zur anderen Seite des Publikums *) Bruder, wenn ich dir 1 Million –– vergiss mal 1 Million Pfund; wenn ich dir bedingungslos 10 Millionen Pfund geben würde, wie würdest du dich fühlen? (* Der Bruder antwortet etwas nüchtern bzw. nicht so euphorisch wie erwartet: „Glücklich.“ *) Bruder, du wärst mehr als glücklich, mein Freund. Ich möchte, dass du einmal in deinen inneren Wortschatz abtauchst und eine etwas mitfühlendere Sprache raussuchst, mein Freund. (* Der Bruder antwortet erneut: „Begeistert.“ [auch: „Ein Hochgefühl haben“] *) Begeistert, mashaAllah! Du wirst begeistert sein, mein Freund. Vielleicht springst du sogar auf und umarmst mich. Okay, lass mich das Gedankenexperiment jetzt ein wenig für dich abändern: Wenn ich dir 10 Millionen Pfund gebe und zu dir sage: „Hier sind die 10 Millionen, aber am Morgen musst du mir dein Augenlicht geben“, würdest du mir dann dein Augenlicht geben? (* Der Bruder antwortet: „Nein“ *) Warum sind wir also nicht jeden Morgen begeistert, weil wir Augenlicht haben? (quasi: Warum stehen wir nicht jeden Morgen auf und sind völlig außer uns und aus dem Häuschen, weil wir SEHEN können?) (* Die Menge murmelt: „Allahu Akbar“ und „SubhanAllah“ *) Warum sind wir nicht begeistert, weil wir das Leben haben, um das Augenlicht zu erfahren?

Das sind die grundlegenden Gaben. Vergesst mal die Erfahrung des Lebens. Die Tatsache, dass wir jeden bewussten Moment haben, den wir nicht verdienen und der uns frei geschenkt wird. Wie sollten wir uns da fühlen? Dankbar. Wem gegenüber? Demjenigen, Al-Khaliq, der sie uns gegeben hat. Was ist mit Kapitel 14, Vers 34, wo Allah sinngemäß sagt: „Du kannst die Segnungen Allahs (swt) nicht einzeln aufzählen“? Hier geht es nicht um ein Auto oder darum, wie viele Haare du auf dem Kopf oder wie viele Kinder du hast. Klar, es geht auch darum, aber es gibt noch etwas Grundlegenderes. Allah will damit sagen, dass du einen einzigen Segen, den du hast, nicht zählen kannst. Nimm zum Beispiel deinen Herzschlag. Bruder, wenn ich dir sagen würde, dass du noch tausend Herzschläge zu leben hast, aber um weitere 20 000 Herzschläge zu bekommen, du mir dein ganzes Vermögen geben musst, was würdest du tun? (* Der Bruder antwortet: „Dir zu 100% geben.“ *) Du würdest mir zu 100% dein Vermögen geben. So unbezahlbar ist jeder einzelne Herzschlag. Ist es also nicht so, dass wir die Segnungen Allahs nicht zählen können? Denn hier ist die Herausforderung: Ich möchte, dass ihr jeden einzelnen Herzschlag zählt, den ihr in eurem Leben hattet. Bismillah, legt los. (* Die Brüder antworten: „Das ist unmöglich.“ *) Das ist unmöglich. In den ersten Jahren kannst du nicht einmal zählen. Wenn du schläfst, kannst du nicht zählen…

Lasst uns das Gedankenexperiment ein wenig abändern: Ich möchte, dass ihr jedes Mal alhamdulillah sagt, wenn ihr einen Herzschlag hattet. Alhamdulillah. Alhamdulillah. Alhamdulillah. Alhamdulillah. Es ist unmöglich. Du bist im Rückstand, wenn du schläfst, wenn du andere notwendige Dinge in deinem Leben tust. Du bist zumindest in den ersten zwei oder drei Lebensjahren im Rückstand, weil du nicht zählen konntest. Es stimmt also, dass du einen einzigen Segen Allahs (swt) nicht zählen kannst. Alles, was über einen Herzschlag hinausgeht, ist also was? Es ist ein Bonus.

Das bedeutet nicht, dass es kein Leid gibt, es bedeutet nicht, dass es das Böse nicht gibt. Aber ich sage euch, dass es das Böse und das Leid neu definiert, weil du dich in einem Zustand wahrer Dankbarkeit befindest, einem Zustand der Dankbarkeit derjenigen, die تقوى (taqwa; Gottesbewusstsein) haben, die sich an Allah erinnern und die Realität verstehen. Und das wird dir eine Hierarchie des Leids geben, denn wenn du dich im Zustand dieser Art von Dankbarkeit befindest, dass du _wirklich_ nichts verdienst, dass ich nicht einmal meinen Herzschlag an Allah (swt) zurückzahlen kann –– und selbst in einem hypothetischen alternativen Universum, in dem ich Allah für jeden einzelnen Herzschlag denken könnte, werde ich Allah immer noch für die Fähigkeit danken müssen, Allah überhaupt danken zu können.

Wir sind also in einem ewigen Zustand der Dankbarkeit, einer unendlichen Dankbarkeit, die wir gegenüber Allah (swt) haben müssen. Und wenn du in diesem Zustand bist, dann befindest du dich bereits in einem Zustand der Dankbarkeit, wenn dir Leid widerfährt. Dann bist du bereits in einem Zustand von „allem Zusätzlichen, das ich nicht verdiene“. Wenn es dir also genommen wird, sei es die Gesundheit oder das Leben, bist du immer noch dankbar und wirst wie das Volk Gazas.

Es ist alles spirituell. Vergiss diesen theo-philosophischen Unsinn. Es geht nur um dein Herz und darum, wie du zu Allah (swt) stehst.

Wenn wir uns in diesem Zustand befinden, verändert sich alles. Es ist die kognitive und spirituelle Umdeutung. Wie gesagt, versteht mich nicht falsch –– es wird Leid geben, wir werden Schmerz empfinden. Es wird Böses und Leid auf der Welt geben. Das hat Allah (swt) versprochen. Aber mit großem Schmerz und Leid kommt auch großer Lohn. Wie Allah in al-Baqarah sinngemäß sagt: „Meint ihr etwa, dass ihr ins Paradies kommt, ohne geprüft zu werden?“ „Glaubt ihr, dass ihr nach Jannah kommt, ohne geprüft zu werden?“ Die Menschen vor euch waren so erschüttert, dass sogar der Prophet und seine Anhänger riefen: „Wann kommt die Hilfe Allahs, wo ist die Hilfe Allahs?“ Und was sagt Allah? „Wahrlich, Allahs نصر (nasr), Sein Sieg, Seine Hilfe ist قارب (qarib), nahe.“ Lasst uns hier ein wenig tadabbur machen. Stellen wir uns einmal vor, wie viel Schmerz und Leid es tatsächlich geben muss, _damit_ der Prophet und seine Anhänger überhaupt ausrufen: „Wann kommt die Hilfe Allahs?“ Und was sagt Allah? Seine Hilfe ist nahe. Wenn das Leid und der Schmerz am größten sind, ist Allahs Sieg und Hoffnung nahe. Wenn man Gaza also aus dieser Perspektive betrachtet, die eine der höchsten Formen des Leids und des Schmerzes ist, dann ist das für mich ein Schleier, der, wenn wir ihn richtig verstehen und diesen Schleier entfernen, dahinter sehen, dass der Sieg Allahs (swt) sehr nahe ist. (* Durch die Reihen geht: „InshaAllah.“ *). Und genau so will Allah diese Dinge neu definieren.

Außerdem, um diese Dinge kognitiv und spirituell neu zu definieren, musst du wirklich an den Qur’an und die Sunnah glauben –– nicht auf eine abstrakte Art und Weise. Nicht so, dass wir an einer Art „spiritueller Diabetes“ leiden und du zu diesen Vorträgen kommst und eine Art „spirituelles Insulin“ bekommst und dich für 5 Minuten besser fühlst. Sondern auf eine ECHTE Art und Weise. Dass du wirklich hart daran arbeitest, die Werte und Prinzipien sowie die Konzepte aus Qur’an und Sunnah zu verinnerlichen. Dass du die harte Arbeit tust, meine lieben Geschwister.

Wir leben heute in schwierigen Zeiten. Es reicht nicht aus, den Qur’an zu rezitieren und nicht zu verstehen, was darin steht. Du musst anfangen, dich zu konzentrieren, tadabbur zu machen, zu verstehen, was Allah in meinem Kontext von mir will, was Allah in meinem Kontext am meisten gefällt! Wenn du diese Frage nicht stellst, bist du bereits Teil des Problems. Wir sind Teil des Problems. Wenn wir uns nicht gefragt haben, was Allah in meinem speziellen Kontext am meisten gefällt, haben wir uns verirrt. Wir müssen diese Frage stellen, um den Qur’an und die Sunnah ernst zu nehmen. Wie die Menschen in Gaza, wo die ganze Familie gestorben ist –– wie der der Onkel, der Bruder, der eine Schachtel mit Süßigkeiten an die Leute verteilte, weil er so glücklich war, weil er an das Versprechen Allahs glaubt und dass Allah Sein Versprechen nicht brechen wird, dass diese Menschen nach Jannah kommen und sie ihn auch nach Jannah bringen werden!

Seht euch ihren iman an! Seht euch ihren Glauben an! Denn wenn du stirbst, während du die Religion verteidigst, während du deine Familie verteidigst, während du deine Nachbarn verteidigst usw., dann stirbst du als Märtyrer! Was bedeutet das? Das bedeutet, dass du nach Jannah gehst! Und was ist Jannah? Der Hadith, der authentische Hadith des Propheten ﷺ! Er hat uns erklärt, dass derjenige, der am meisten in der Dunya litt – ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das heißt – dass derjenige, der am meisten in der Dunya litt, wenn er für Jannah bestimmt ist, für einen kurzen Moment in Jannah eingetaucht und gefragt wird, ob er jemals gelitten hat, und er sagen wird: „Wallahi, ich habe niemals gelitten.“ (* Durch die Reihen geht: „SubhanAllah“ *)

DAS ist Jannah. Und sie glauben daran. Es sind nicht nur Worte, mit denen sie sich besser fühlen. Es geht nicht darum, ein Selbsthilfebuch aufzuschlagen und eine Art von scheinbar spirituellem existenziellem Wunsch zu erfüllen. Das hier ist echt! Es ist حقّ (haqq; Wahrheit) für sie! Es ist absolute Wahrheit. Diese Worte aus dem Qur’an und der Sunnah sind wahrer als die Erkenntnis, dass die Welt rund ist, oder die Erkenntnis, dass es eine Außenwelt gibt. Weil sie den Qur’an und die Sunnah ernst genommen haben.

Und um ehrlich zu sein, Brüder und Schwestern, kann man den Qur’an und die Sunnah nicht ernst nehmen, wenn man nur ein Buch liest, wenn man es ausschließlich mit dem Verstand betrachtet. „Soundso sind die Beweise für den Qur’an“, „soundso sind die Beweise für das Prophetentum“, und khalas [das war’s/fertig] –– nein, so funktioniert das nicht. Glaubt mir, ich beschäftige mich seit fast einem Jahrzehnt mit Philosophie, so funktioniert das nicht.

Wisst ihr aber, was funktioniert? Die harte Arbeit zu tun und Allah (swt) anzubeten. Mitten in der Nacht aufzustehen und Allah anzuflehen. Zu verstehen, dass du von Allah (swt) abhängig bist. Morgens und abends dhikr zu machen, die Du’as zu machen, dich mit Allah zu verbinden, tadabbur über den Qur’an zu machen. Wie Allah sagt: Je mehr tadabbur du machst, desto mehr wird sich dein Herz öffnen, um Seine Rechtleitung und Seine Barmherzigkeit zu empfangen. Das ist die harte Arbeit. Für das صلاة [salah; Gebet}aufzustehen, Du’a in der سجدة [sajda; Niederwerfung] zu machen, sich mit Allah zu verbinden, sich mit den spirituellen Krankheiten deines Herzens zu befassen, diese harte Arbeit zu tun… denn das ist, was zählen wird.

Denn der Mensch ist, wie ich bereits sagte, nicht nur eine Art abstrakte KI-Maschine, in die man einen Code eintippt und dann bestimmte Ergebnisse erhält. Du musst an deinem Herzen arbeiten, um es zu stärken. Denn wenn das spirituelle Herz durch den Dienst an Allah, durch die Anbetung, durch die übergebührliche Tat [d. h. die „Extrameile“] so stark ist, dass Allah dich zu lieben beginnt, wie es in dem Hadith qudsi heißt… dann wird Allah dich nicht im Stich lassen. Und ich glaube auch gar nicht, dass Allah das Volk Gazas im Stich gelassen hat. Allah hat durch die Erfahrung in Gaza gezeigt, was es heißt, ein wahrer Gläubiger zu sein. Denn vielen dieser Menschen ist Jannah versprochen. Und ich sage euch – wallahi, das glaube ich – dass am Tag des Gerichts, wenn sie den Lohn, die Barmherzigkeit und die Liebe Allahs (swt) sehen, werden sie wahrscheinlich tausendmal darum [um diese Prüfung des Genozids] bitten. So groß sind der Lohn und die Barmherzigkeit Allahs! Aber das hier ist kognitive und spirituelle Umdeutung. Dass du zwar den Qur’an und die Sunnah verstehen musst und wie sie Jannah formulieren, wie sie das Verständnis von Böse und Leid formulieren. Dass das Leben eine Prüfung ist und du für das Leid, das du erträgst, belohnt wirst. Aber damit das wirklich einen Sinn ergibt, musst du den din durch die Praxis, durch die Anbetung verinnerlichen.

Du kannst übrigens niemanden auf intellektuelle Weise verändern. Das ist sehr schwierig. Stell dir vor, jemand hat Angst. Ich habe auch manchmal Angst. Du kannst nicht mit einer Angst umgehen, indem du sagst: „Beruhige dich, Bruder. Beruhige dich. Das wird nicht passieren. Lass uns das rein rational betrachten. Sieh dir doch an, wie sich das in der Vergangenheit abgespielt hat. Entspann dich.“ Nein, du gehst mit der Angst um, indem du den Deutungsrahmen der Person und seine Sprache änderst. Du gehst damit um, indem du seine Emotionen änderst. Und du gehst damit um, indem du sein Verhalten änderst. Wenn du eines dieser beiden Dinge ändern könntest, bekämst du eine Art Wandel. Das ist nicht einmal eine intellektuelle Übung. Es ist sehr schwer, jemanden auf intellektuelle Weise zu verändern, d. h. durch einen intellektuellen Diskurs eine Veränderung in seiner Wesensart herbeizuführen. Das ist sehr schwierig. Was du versuchen solltest, ist, die Art und Weise zu verändern, wie er die Dinge deutet, seine Sprache, seine Gefühle und sein Handeln. Und genau darauf zielt der Qur’an ab. Er hat einen Deutungsrahmen und eine Sprache, die du dir aneignen musst, um die Realität zu verstehen. Und er wird dir helfen, deine Wesensart zu ändern. Er gibt dir die richtige Art von Emotionen. Und er empfiehlt und befiehlt dir, auf eine bestimmte Weise zu handeln. Wenn du eines dieser drei Dinge – deine Sprache, deine Emotionen und dein Verhalten – ändern könntest, bekämst du einen Wandel.

Deshalb ist es so wichtig, über den Qur’an nachzudenken. Deshalb sind gottesdienstliche Handlungen so wichtig, denn sie stärken dein spirituelles Herz, sie verändern deine Wesensart. So kannst du, wenn ein Unglück hereinbricht, egal welcher Art, wie das Volk Gazas reagieren.

Wenn wir etwas von dem Volk Gazas gelernt haben, dann, dass Leid und Böses keine Ausrede mehr sind. Wenn wir etwas von dem Volk Gazas gelernt haben, dann, dass wir so sein müssen wie sie, um mit den Wechselfällen des Lebens umzugehen. Den Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens. Und das basiert darauf, dass wir uns mit der عقيدة [aqidah; Glaubenslehre] des Islam verbinden, die aqidah des Islam verinnerlichen und tatsächlich die harte Arbeit tun.

Als Ramadan war, beteten die Menschen in Gaza nachts, sie kamen zusammen, fasteten und brachen ihr Fasten in ihren zerstörten Häusern. Viele von ihnen hatten Familienmitglieder und Kinder verloren, sie sahen ihre Kinder vor ihren Augen sterben und sammelten ihre Körperteile ein, und sie fasteten und dankten Allah (swt). Weil sie die richtige kognitive Umdeutung, die spirituelle Umdeutung hatten und dieser notwendigen spirituelle Praxis nachgingen, um das qalb zu stärken, das taqqalub macht, um es fest zu machen. Denn niemand wird am Tag des Gerichts sicher sein, wenn er nicht zu Allah mit was kommt? قلب سليم [qalbin saleem], mit einem gesunden Herzen.

Jetzt seid aber nicht zu traurig darüber. Freut euch, denn Allah hat uns die Möglichkeit gegeben, so zu sein wie das Volk Gazas. Denn sie sind zu unseren Vorbildern geworden –– darin, wie man Widerstand leistet und das Leid und das Böse zu dem Maße überwindet, dass die Nichtmuslime schockiert sind. Die Nichtmuslime haben keinen Bezugsrahmen. Sie haben keinen Filter. Sie haben keine Weltanschauung. Sie haben keine ideologische Brille, die sie dazu bringen könnte, zu verstehen, wie das Volk Gazas auf dieses Böse reagiert hat. Deshalb sind die Menschen allein durch ihre Reaktion Muslime geworden. Sie sagen: „Ich möchte so sein wie sie.“

Ich weiß, dass das Leben voller Leid ist. Ich weiß, dass das Leben voller Prüfungen und Schwierigkeiten ist. Ich möchte so reagieren wie sie. Denn ich weiß, dass meine Mutter sterben wird. Ich weiß, dass mein Vater sterben wird. Vielleicht muss ich meine eigenen Kinder begraben. Vielleicht werde ich behindert. Vielleicht verliere ich meinen Job. Ich könnte leiden. Ich könnte Angstzustände haben. Ich könnte vielleicht all diese Probleme haben. Wir werden vielleicht mit Unglück, Erdbeben, Kriegen, Depressionen und Folter konfrontiert. Und ich möchte so sein wie sie. Denn sie haben ihr Leid überwunden, weil sie ihrem Leid den richtigen Sinn gegeben haben – den Sinn, von dem Allah und Sein Gesandter wollen, dass sie ihm geben.

Die Nichtmuslime haben nicht wirklich… sie haben keinerlei Weltanschauung, die einen Sinn darin sieht. Deshalb ist der Islam ein solches Geschenk, liebe Geschwister. Seien wir ehrlich: Du musstest nicht تفسير [tafaseer], die exegetischen Werke, studieren, um den Qur’an in Bezug auf das Böse und das Leid zu verstehen –– denn das Volk Gazas war die praktische Exegese und Erklärung vieler Verse des Qur’ans. Plötzlich ergab der Qur’an einen Sinn für uns. Plötzlich ergab der Qur’an Sinn für uns, als wir sahen, wie das Volk Gazas reagierte.

Also, meine Brüder und Schwestern: Wir hätten dieses Thema aus einer philosophischen Perspektive angehen können, die sich mit der logischen Form des Problems des Bösen bzw. der Beweisform befasst, aber um ehrlich zu sein denke ich, dass dies völliger Unsinn ist, denn das wurde bereits unzählige Male widerlegt. Wir müssen uns viel mehr darauf konzentrieren, uns durch den Qur’an und die Sunnah kognitiv und spirituell neu auszurichten und Menschen mit einer tiefen Praxis [Religionsausübung] zu werden – so dass wir ein starkes spirituelles Herz haben. So dass wir dem Leben und dem Leiden die richtige Bedeutung beimessen können. So dass wir unser Leiden in gewisser Weise überwinden können. Und das ist unsere Prüfung. DAS ist UNSERE Prüfung.

Und die Dinge könnten schlimmer werden – in diesem Land und auf der ganzen Welt. Und wir müssen darauf vorbereitet sein. Ich bin kein Pessimist, ich bin Optimist. Aber ich bin ein optimistischer Realist. Also ja, wir können Böses und Leid haben, es kann schlimmer werden, aber wir werden uns bessern. Und wir werden uns bessern, indem wir den Qur’an und die Sunnah richtig verstehen und unsere spirituellen Herzen stärken. Und wir haben das Volk Gazas als Vorbilder. Ist das klar, Brüder und Schwestern? Ich möchte nicht, dass ihr heute nach Hause geht, euer Biryani esst und nur denkt, „oh, das war ein toller Vortrag“, aber nichts verstanden habt. Ich möchte, dass dies ein Samen ist, der in euer Herz und euren Verstand gepflanzt wurde, so dass ihr anfangen könnt, den Qur’an und die Sunnah noch ernster zu nehmen und den Qur’an und die Sunnah aus der Perspektive zu verinnerlichen, dass ihr den Qur’an und die Sunnah als einen semantischen Bezugsrahmen benutzt, dass ihr sie als die Bedeutung nutzt, die ihr eurem Leid und euren Prüfungen gebt. Und dass ihr spirituellen Praktiken nach Qur’an und Sunnah nachgeht, um euer spirituelles Herz zu stärken. Um solche Wandlungen zu erleben.

Und das steht [übrigens] im Einklang mit der modernen Kognitionswissenschaft. Wenn Menschen unter einer Art kognitivem oder psychoemotionalem Problem leiden, sagen die Kognitionswissenschaftler, dass man die Möglichkeit erwägen soll, dass die Bedeutung, die man dem Leid gibt, nicht die einzige Bedeutung ist. Und wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen: Erwäge die Möglichkeit, dass die Bedeutung, die du dem Leid und der Trübsal gibst, nicht die einzige Bedeutung ist. Gib ihr vielmehr die wahre Bedeutung, nämlich die Bedeutung, die Allah und Sein Gesandter wollen, dass du ihnen gibst. Ist das klar, meine lieben Geschwister?

Es ist also sehr wichtig, dass wir uns selbst daran erinnern. Dass wir den Qur’an und die Sunnah viel ernster nehmen und praktizieren und dieser Praxis nachgehen. Und jeder ist auf seiner eigenen Reise. Jeder hat ein anderes Niveau. Jeder hat irgendwo angefangen: Wenn du noch nicht fünfmal am Tag betest, dann bete fünfmal am Tag. Wenn du nur die فـرائـض [faraid], die Pflichtgebete betest, dann fang an, die Sunnah-Gebete zu verrichten. Wenn du nicht im letzten Drittel der Nacht aufstehst, dann steh einfach 10 Minuten vor dem Fajr-Gebet auf und mache Du’a. Und danach fang an, eine halbe Stunde vor dem Fajr aufzustehen und vielleicht im Gebet zu stehen. Jeder hat seinen eigenen Kontext. Allah kennt euch besser, als ihr euch selbst kennt. Wir sind nicht hier, um jemanden zu verurteilen. Aber nutzt diese Gelegenheit, um den nächsten Schritt zu machen. Nutzt diese Gelegenheit, um taddabur über den Qur’an zu machen, um über den Qur’an nachzudenken. Und ihr habt eure eigenen Ängste und euer eigenes persönliches Leid und eure eigenen persönlichen Strapazen. Und vielleicht steckt ihr fest, weil ihr dem Ganzen die falsche Bedeutung gegeben habt. Erforscht den Qur’an und die Sunnah. Lasst euch von dem Volk Gazas inspirieren und fangt an, darüber nachzudenken: Wie kann ich den Qur’an und die Sunnah dazu nutzen, um meine ganze Wesensart kognitiv und spirituell neu zu gestalten, damit ich mein Übel und mein Leid überwinden, damit ich dem Qur’an die richtige Bedeutung geben, damit ich den nächsten Schritt auf meiner Reise zu Allah (swt) machen kann?

  1. Anmerkung ITV; Al-Ghazalis Werke wurden von seinen Zeitgenossen so hoch gelobt, dass ihm der Ehrentitel “Beweis des Islam” (Ḥujjat al-Islām) verliehen wurde.

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